Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
ruhten ihre Finger auf seinem Unterarm. Auch wenn ich mich noch so gründlich von ihm abschirmte, nahm ich doch allzu deutlich wahr, wie sehr sie ihre Nächte genossen. Ich hatte versucht, mich vor ihrer Leidenschaft in Mollys Arme zu flüchten, aber das trug mir nur Schuldgefühle ein. Molly war glücklich über mein neuerwachtes Verlangen. Wie würde ihr zumute sein, wenn sie wüsste, dass nicht sie allein es war, die meine Lust entfachte?
Die Gabe. Man hatte mich vor ihrer Macht und ihren Fallstricken gewarnt, davor, wie sie den Willen eines Menschen unterhöhlte und ihn zu ihrem Sklaven machte. Dies aber war eine Gefahr, von der niemand gesprochen hatte. In einer Hinsicht wartete ich darauf, dass Veritas die Burg verließ, damit ich meine Sinne und meine Seele wieder für mich allein haben konnte.
»Was Ihr in Eurem Turm leistet, ist nicht weniger wert als das, was die Soldaten und Seeleute tun. Nur verstehen leider die Menschen nicht, wie sehr Ihr Euch für sie verzehrt …«
»Was du sehr gut nach fühlen kannst. Wir sind uns nahegekommen in diesem Sommer, Junge. Näher, als ich es je für möglich gehalten hätte. Näher, als irgendein Mann mir gewesen ist, seit dein Vater starb.«
Näher sogar, als Ihr ahnt, mein Prinz. Aber das sprach ich nicht aus. »Ja, so ist es.«
»Ich habe vor, dich um einen Gefallen zu bitten. Genaugenommen sogar zwei.«
»Ihr wisst, dass ich Euch nichts verweigern werde.«
»Niemals so voreilig sein, Fitz. Der erste Gefallen ist, dass du meiner Gemahlin zur Seite stehst. Sie hat einiges dazugelernt, was die Verhältnisse hier auf der Burg angeht, aber sie ist immer noch viel zu vertrauensselig. Beschütze sie bis zu meiner Wiederkehr.«
»Das hätte ich auch getan, ohne dass Ihr mich darum bittet.«
»Und der zweite …« Er atmete tief ein und aus. »Ich möchte versuchen hierzubleiben. In deinem Kopf. Solange wie möglich.«
»Hoheit.« Ich zögerte. Er hatte Recht gehabt, diese Bitte erfüllte ich ihm nicht gerne. Doch ich hatte bereits meine Zusage gegeben. Was er verlangte, diente dem Wohl des Königreichs. Aber mein eigenes Wohl? Schon seit längerem hatte ich gespürt, wie die Grenzen meines Selbst unter dem Druck von Veritas’ starker Persönlichkeit zu bröckeln begannen, und diesmal war nicht die Rede von einem Tage oder Stunden dauernden Kontakt, sondern es handelte sich um Wochen, vielleicht Monate. Erging es so den Mitgliedern eines Zirkels, wenn sie irgendwann aufhörten, ein eigenständiges Leben zu führen? »Was ist mit Eurem Zirkel?«, fragte ich.
»Was soll damit sein? Sie bleiben, wo sie sind, in den Wachtürmen und auf den Schiffen. Ihre Nachrichten können sie an Serene übermitteln, und sie erstattet dem König Bericht. Falls es etwas gibt, von dem sie glauben, ich müsste es erfahren, können sie ihre Sinne zu mir lenken.« Er nickte mir zu. »Durch dich jedoch hoffe ich andere Informationen zu erhalten. Vertrauliche Informationen.«
Wie es seiner Königin geht, dachte ich. Wie Edel in Abwesenheit seines Bruders schaltet und waltet. Klatsch und Intrigen. An sich Trivialitäten, doch von einer anderen Seite betrachtet genau die Einzelheiten, die Veritas halfen, seine Stellung abzusichern. Zum tausendsten Mal wünschte ich mir, ich besäße die uneingeschränkte Fähigkeit der Gabe, womit ich jederzeit zu Veritas hindenken hätte können. Doch wie die Dinge standen, war der durch Berührung hergestellte Gabenbund unsere einzige Möglichkeit der Kommunikation. Auf diese Weise konnte er die Vorgänge auf Bocksburg verfolgen und mir Anweisungen geben, falls es als notwendig schien. Ich zögerte, obwohl ich schon wusste, dass ich ihm nachgeben würde. Ich beschwichtigte mich selbst, dass ich dies nur aus Loyalität zu ihm und den Sechs Provinzen gegenüber tat, und nicht, weil sich in mir etwa der Gabenhunger regte. »Ich bin einverstanden.«
»Wohl wissend, was es bedeutet«, sagte er. So genau kannten wir uns schon in unseren Sinnenwelten. »Ich werde mich so unauffällig verhalten wie möglich«, versprach er mir. Ich trat zu ihm, er hob eine Hand und Berührte meine Schulter. Veritas war wieder bei mir, zum ersten Mal seit dem Tag in seinem Arbeitszimmer, als er mir befohlen hatte, mich abzuschirmen. Soweit er es wusste.
Am Tag der Abreise herrschte schönes Wetter, es war klirrend kalt, aber der prächtige Himmel präsentierte sich weit und blau. Wie versprochen hatte Veritas den Aufwand so gering wie möglich gehalten. Gleich am Morgen nach der
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