Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
hätte er damit gerechnet, dass ihm Hilfe entgegenkommt oder dass irgendjemand sagt, man wüsste Bescheid und Schiffe wären unterwegs. Aber nichts von alledem.«
»Von Holüber? Dann ist es wenigstens fünf Tage her. Warum sind die Signalfeuer nicht entzündet worden?« Ich hatte ein ungutes Gefühl in der Magengrube. »Warum hat man nicht die Alarmvögel nach Skua und der Seehundbucht fliegen lassen? Die Constance kreuzt doch in den Gewässern, der Ausguck hätte eins der Feuer sehen müssen. Und ein Gabenkundiger, Will, sitzt im Roten Turm. Warum hat er sich nicht mit Serene in Verbindung gesetzt? Wie kommt es, dass kein Wort von dem Überfall bis hierher gedrungen ist, so dass wir keine Ahnung davon gehabt haben?«
Sarah dämpfte ihre Stimme noch weiter und gab dem Teig, den sie knetete, einen bedeutungsvollen Klaps. »Der Junge sagt, die Feuer wurden angezündet, in Holüber und in Eisstadt. Er sagt, die Vögel sind nach Skua geflogen. Doch das Schiff sei nicht gekommen.«
»Warum haben wir dann nichts erfahren?« Ich holte tief Atem und beherrschte meinen ziellosen Zorn. Tief in mir spürte ich eine schwache Regung von Veritas. Doch es war zu schwach. Ausgerechnet jetzt, wenn ich mir wünschte, mich mit ihm beratschlagen zu können. »Nun, Fragen zu stellen hilft jetzt nicht. Was hat Edel getan? Der Rurisk befohlen, auszulaufen? Ich wünschte, ich wäre rechtzeitig hier gewesen, um mit hinauszufahren.«
Sara schnaufte und würgte den Teig mit beiden Händen. »Wenn du jetzt gehst, kommst du immer noch zur rechten Zeit. Kein Schiff ist ausgelaufen, keine Soldaten sind ausgeritten. Es wurde nichts unternommen, und es wird nichts unternommen, das ist der Stand.
Du weißt, ich habe nichts übrig für Gerede, aber hinter der vorgehaltenen Hand wird geflüstert, Prinz Edel hätte Bescheid gewusst. Als der Junge kam, oh, der Prinz zeigte sich voller Güte und Mitgefühl, er rührte die Damen wahrlich zu Tränen. Der Junge bekam ein Essen, ein neues Wams und einen kleinen Beutel für seine Mühe. Aber er sagte dem Jungen, es wäre jetzt zu spät, die Korsaren längst in der Weite des Meeres verschwunden. Wozu also noch ein Schiff aussenden oder Militär?«
»Zu spät vielleicht, um die Pi raten zu verfolgen. Aber was ist mit den Bürgern von Holüber? Sie brauchen Arbeiter, die ihnen bei den Aufräumungsarbeiten helfen und einige Wagenladungen mit Lebensmitteln …«
»Unser Prinz sagte, dafür wäre kein Geld vorhanden.« Sarah stieß jedes Wort davon einzeln hervor. Sie fing an, den Teig in Portionen aufzuteilen und die Bällchen zum Aufgehen nebeneinanderzulegen. »Er sagte, der Staatsschatz wäre für den Bau der Schiffe aufgebraucht worden, um sie auszurüsten und zu bemannen. Er sagte, Veritas hätte das Wenige, das noch übrig war, eingesetzt für seine Expedition zu den Uralten.« Sie legte eine unsägliche Verachtung in dieses letzte Wort. Dann wischte sie sich die Hände an der Schürze ab. »Zum Schluss sagte er, es täte ihm leid. Aufrichtig leid.«
Eine kalte Wut ergriff von mir Besitz. Ich streichelte Sarah über die Schulter und bat sie, sich keine Sorgen zu machen. Wie benebelt verließ ich die Küche und ging zu Veritas’ Arbeitszimmer. Dort angekommen, blieb ich einen Moment stehen, um mich zu besinnen. Da spürte ich Veritas’ Absicht kurz aufblitzen: Ganz hinten in einer Schublade … dort befand sich ein Smaragdkollier, bei dem jeder Stein in Gold gefasst war. Es hatte seiner Mutter gehört, und der Erlös daraus würde reichen, um Männer anzuwerben und mit Hilfsgütern nach Holüber in Marsch zu setzen. Ich stieß die Tür auf, trat ein und blieb gleich wieder stehen. Veritas war alles andere als Ordnungsliebend, und er hatte in aller Eile gepackt. Außerdem war Charim, der sonst hinter ihm aufzuräumen pflegte, mit ihm gegangen. Was ich vorfand, trug die Handschrift weder des einen noch des anderen.
Einem Unbeteiligten wäre es vermutlich nicht aufgefallen, doch ich sah den Raum sowohl mit meinen als auch mit Veritas’ Augen. Er war durchsucht worden. Wer immer da für verantwortlich zeichnete, ihm war entweder gleichgültig gewesen, ob es jemand bemerkte, oder er kannte Veritas nicht sonderlich gut. Jede Schublade war säuberlich zugedrückt, jede Schranktür geschlossen. Der Stuhl war genau unter den Schreibtisch geschoben. Alles war viel zu akkurat. Ohne große Hoffnung ging ich zu der Schublade und machte sie auf. Ich bückte mich und spähte bis in ihre hinteren Winkel.
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