Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
genug Verstand haben, um so etwas bleiben zu lassen. Halt still.« Ich faltete den Stoff zu einer Kompresse und drückte diese behutsam, aber fest auf sein Gesicht. Nach einem Moment lockerte sich seine verkrampfte Haltung. Ich wischte das getrocknete Blut weg; viel war es nicht, offenbar hatte er schon selbst das Gröbste abgewaschen, doch aus einigen Platzwunden quollen immer noch rote Tropfen. Anschließend betastete ich vorsichtig den Unterkiefer und die Ränder der Augenhöhlen. Wenigstens schien nichts gebrochen oder gesplittert zu sein. »Wer hat das getan?«
»Ich bin gegen mehrere Türen gelaufen. Oder mehrere Male gegen ein und dieselbe. Hängt davon ab, welche Tür du fragst.« Er war recht gesprächig für jemanden mit zerschlagenen Lippen.
»Das war eine ernst gemeinte Frage.«
»Meine ebenfalls.«
Ich sah ihn wieder mit gerunzelten Brauen an, und er senkte den Blick. Eine Zeit lang schwiegen wir beide, während ich einen Topf mit Salbe hervorsuchte, die Burrich mir für Risse und Abschürfungen gegeben hatte. »Mir liegt wirklich daran, es zu erfahren.« Ich nahm den Deckel vom Tiegel, und der vertraute beißende Geruch stieg mir in die Nase. Plötzlich vermisste ich Burrich so schmerzlich, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.
»Mir auch.« Er zuckte leicht zusammen, als ich die Salbe auftrug. Sie brannte, aber sie half.
»Weshalb stellst du mir eine derartige Frage?«
Er überlegte. »Weil es leichter ist, dich zu fragen, als von Kettricken wissen zu wollen, ob sie Veritas’ Kind unter dem Herzen trägt. Soweit ich es beurteilen kann, hat Edel in letzter Zeit nur sich selbst die Ehre gegeben, deshalb kommt er nicht in Frage. Bleiben nur du oder Veritas - einer von euch muss der Vater sein.«
Ich starrte ihn an, und er schüttelte voller Trauer über meine Begriffsstutzigkeit den Kopf. »Spürst du es nicht?«, fragte er raunend. Sein dramatischer Blick verlor sich in unbestimmter Ferne. »Kräfte geraten in Bewegung, Schatten wandern. Plötzlich ein Wellenschlag im Ozean der Möglichkeiten und Schicksalslinien, die sich verfielfältigen.« Er schaute mich an. Ich lächelte, weil ich glaubte, er triebe seine gewohnten Späße, doch sein ganzer Gesichtsausdruck blieb ernst. »Dem Geschlecht der Weitseher wird ein Erbe geboren«, sagte er fest. »Ich weiß es genau.«
Es ist so, wie wenn man im Dunkeln eine Stufe verfehlt: das plötzliche Gefühl, am Rand eines Abgrunds zu stehen und nicht zu wissen, wie tief der Sturz sein mag. Ich sagte viel zu schnell und viel zu bestimmt: »Ich habe kein Kind gezeugt.«
Der Narr beäugte mich skeptisch. »Aha«, meinte er mit aufgesetzter Munterkeit. »Natürlich nicht. Dann muss es Kettricken sein, die empfangen hat.«
»Das denke ich auch«, stimmte ich zu, aber eine kalte Hand griff nach meinem Herzen. Wenn Kettricken schwanger war, hatte sie keinen Grund, es zu verheimlichen. Molly hingegen durchaus. Und ich war seit mehreren Nächten nicht bei ihr gewesen. Vielleicht hatte sie Neuigkeiten für mich. Mir wurde plötzlich schwindelig, und ich musste mich zwingen, tief einzuatmen. »Zieh dein Hemd aus«, forderte ich den Narren auf. »Sehen wir uns deine Brust an.«
»Ich habe sie gesehen, danke sehr, und ich kann dir versichern, alles ist in bester Ordnung. Der Sack über meinem Kopf diente ihnen wahrscheinlich als Anhaltspunkt, wohin sie schlagen sollten, und sie haben sich peinlich genau daran gehalten.«
Die Brutalität des Vorgehens bereitete mir Übelkeit. »Wer?«, fragte ich heiser.
»Mit einem Sack über dem Kopf? Ich bitte dich! Kannst du durch einen Sack hindurchsehen?«
»Nein. Aber du musst doch Vermutungen haben.«
Er legte ungläubig den Kopf schräg. »Wenn du nicht weißt, was das für Vermutungen sind, dann bist du derjenige mit dem Sack über dem Kopf. Ich will dir ein mal ein Guckloch hineinbohren. ›Wir wissen, dass du ein Verräter bist, ein Spion von Veritas, dem falschen Thronerben. Sende ihm keine Botschaften mehr, denn wenn du es tust, werden wir es erfahren.‹« Er wandte sich halb ab, um ins Feuer zu sehen, und schlug mit den Hacken einen kurzen Trommelwirbel gegen die Vorderwand der Truhe.
»Veritas, dem falschen Thronerben?«, fragte ich fassungslos.
»Nicht meine Worte. Ihre.«
Ich bezwang meinen Zorn und versuchte zu überlegen. »Weshalb sollten sie dich verdächtigen, für Veritas zu spionieren? Hast du ihm Botschaften geschickt?«
»Ich habe einen König«, antwortete er leise, »auch wenn er sich
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