Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
wenigstens mit moderater Höflichkeit zu antworten, war es mir unmöglich, darauf zu achten, was am Hohen Tisch vor sich ging. König Listenreich saß dort zwischen Königin Kettricken und Prinz Edel, Herzog Brawndy mit seinen Töchtern Zelerita und Fidea hatten die Ehrenplätze eingenommen. Dazu gesellten sich Edels Anhänger, von denen Herzog Ram und seine Gemahlin Plazida nebst ihren beiden Söhnen die vornehmsten waren. Auch Edels Vetter, Lord Vigilant, war anwesend; der junge Erbe des Herzogs von Farrow weilte zum ersten Mal am Königshof.
Von meinem Platz aus konnte ich nur wenig sehen und erst recht nicht verstehen, was gesprochen wurde. Ich fühlte Veritas’ schwelende Unzufriedenheit mit dieser Situation, doch ich konnte nichts da ran ändern. Der König sah müde aus, schien aber sonst ganz er selbst zu sein. Kettricken neben ihm war beinahe durchscheinend blass, nur auf ihren Wangen brannten zwei rote Flecken. Sie aß wenig und wirkte sehr ernst. Prinz Edel hingegen gab sich umgänglich und liebenswürdig, besonders Herzog Ram und seiner Familie gegenüber. Man konnte nicht sagen, dass er Brawndy und seine Töchter ignorierte, aber seine Heiterkeit lief der Stimmung der Gäste aus Bearns sichtlich zuwider.
Herzog Brawndy war ein großer Mann und trotz seines Alters immer noch muskulös. Weiße Haarsträhnen in seinem schwarzen Kriegerzopf zeugten genauso wie die fehlenden Finger an einer Hand von vielen bestandenen Kämpfen. seine Töchter saßen neben ihm, ihre indigoblauen Augen und hohen Wangenknochen verrieten die Herkunft ihrer Mutter von den Nahen Inseln. Fidea und Zelerita trugen das Haar nach der Sitte des Nordens glatt und kurz geschnitten. Beide erinnerten mich in ihrer Eigenart, mit raschen Bewegungen den Kopf zu wenden, um sämtliche Gäste zu betrachten an einen auf des Falkners Faust harrenden Jagdfalken. Diese Menschen waren nicht vom Schlag des zahm gewordenen Adels aus den Inlandprovinzen. Von allen Sechs Provinzen konnte man am ehesten noch in Bearns etwas vom Erbe der alten Freibeuter und Eroberer lebendig finden.
Edel beschwor Unheil herauf, indem er ihren Groll und ihren Schmerz auf die leichte Schulter nahm. Ich wusste, sie erwarteten nicht, dass bei Tisch über die Korsaren gesprochen wurde, aber seine übermütige Fröhlichkeit erschien in Anbetracht des Grundes für ihren Besuch reichlich unangemessen. War es Absicht von ihm oder einfach nur Dummheit? Kettricken jedenfalls schien sich bewusst zu sein, wie kränkend sein Verhalten wirken musste. Mehr als ein mal sah ich, wie sie die Lippen zusammenpresste oder bei einem von Edels Witzeleien den Blick senkte. Er trank viel, und der im Übermaß genossene Wein machte sich in seinen extravaganten Gesten und lautem Lachen bemerkbar. Ich ärgerte mich, dass ich nicht hören konnte, was er an seinen eigenen Worten so erheiternd fand.
Der Abend zog sich endlos hin. Zelerita hatte mich sofort entdeckt, und danach fiel es mir schwer, den prüfenden Blicken auszuweichen, die sie in meine Richtung warf. Als unsere Augen sich zum ersten Mal trafen, nickte ich ihr grüßend zu. Ihre Miene verriet, dass sie sich über den Platz wunderte, den man mir angewiesen hatte. Ich wagte nicht, allzu gleichgültig zu erscheinen; Edels Benehmen war schon ohne mich schlecht genug, weshalb ich des Herzogs Tochter nicht noch zusätzlich vor den Kopf stoßen wollte. Ich fühlte mich wie bei einem Balanceakt auf einem dünnen Seil und war dankbar, als König Listenreich sich erhob und Kettricken darauf bestand, ihn aus dem Saal zu geleiten. Edel runzelte in seiner Feierlaune ein wenig die Stirn da rüber, dass das Bankett sich so früh aufzulösen begann, doch unternahm er keinen Versuch, Herzog Brawndy und seine Töchter umzustimmen, als sie sich gleich darauf ziemlich steif entschuldigten und ebenfalls die Tafel verließen. Ich folgte ihrem Beispiel, schützte Kopfschmerzen vor und verabschiedete mich von meinen kichernden Tischgenossinnen. Als ich meine Tür öffnete und ins Zimmer trat, fühlte ich mich wie das machtloseste Geschöpf in der ganzen Burg. Ich fühlte mich in der Tat wie Namenlos, der Stallbursche.
»Ich sehe, das Abendessen war für dich die reinste Freude«, bemerkte der Narr. Ich seufzte. Sinnlos, von ihm wissen zu wollen, wie er hereingekommen war. Weshalb Fragen stellen, auf die mit keiner Antwort zu rechnen war. Er saß vor dem Kamin, umrahmt vom flackernden Schein des kleinen Feuers, das er entzündet hatte. Merkwürdig still kam er
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