Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
hebt sich in ihrer Aufrichtigkeit zu strahlend ab vom sonstigen Kreis der Frauen von Bocksburg. Eine junge Birke inmitten von süß duftenden Rosen. Rosen mit Dornen. Ihr Herz ist gut, aber ich weiß nicht, ob sie der Aufgabe gewachsen sein wird, Junge. Um die Wahrheit zu sagen, sie tut mir leid. Ihr kleines Gefolge ist längst wieder in die Berge zurückgekehrt und hat sie allein zurückgelassen. Man kann sich vorstellen, wie einsam sie sich fühlen muss, ungeachtet der Hofschranzen, die sich um ihre Gunst bemühen.«
»Und Veritas?«, fragte ich besorgt. »Er unternimmt nichts, um sie aufzuheitern, um sie in unserem Land heimisch fühlen zu lassen?«
»Veritas hat wenig Zeit für sie«, antwortete Chade trocken. »Er wollte diese Heirat nicht und versuchte, König Listenreich die Gründe zu erklären, aber wir hörten nicht zu. Der König und ich waren geblendet von den politischen Vorteilen dieser Verbindung. Ich dachte nicht daran, dass eine Frau von Fleisch und Blut hier an diesem Hof sein würde, und das Tag für Tag. Veritas hat alle Hände voll zu tun. Wären sie nur ein Mann und eine Frau und ließe man ihnen etwas Zeit, so glaube ich, dass sie wirklich lieben lernen könnten. Doch hier und jetzt müssen sie alle Kraft darauf verwenden, den Schein zu wahren. Bald wird man nach einem Erben verlangen. Sie haben keine Gelegenheit, sich kennenzulernen, geschweige denn, Sympathien füreinander zu entwickeln.« Er schien die Betroffenheit in meinem Gesicht gesehen zu haben, denn er fügte hinzu: »Das ist das Schicksal aller mit königlichem Blut, Junge. Chivalric und Philia waren die Ausnahme, und sie erkauften ihr Glück um den Preis politischer Vorteile. Das hatte es bis da hin noch nie gegeben, einen Thronfolger, der aus Liebe heiratet. Bis auf den heutigen Tag ist man nicht müde geworden, sich das Maul darüber zu zerreißen.«
»Ob er es wohl Bereut hat?«
»Leicht war es nicht für ihn«, antwortete Chade halblaut. »Nein, ich glaube nicht, dass er seine Entscheidung bereut hat. Doch er war der Thronfolger. Dir wird man keinen solchen Spielraum zugestehen.«
Aha. Natürlich wusste er auch das. Und sinnlos zu hoffen, er würde schweigend da rüber hinweggehen. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. »Molly.«
Er nickte nachdenklich. »Anfangs konnte man darüber hinwegsehen; ein Junge, der in die Stadt hinunterläuft und sich dort mit Gleichaltrigen herumtreibt. Doch mittlerweile betrachtet man dich als Mann. Als sie herkam und nach dir fragte, fingen die Leute an zu reden und zu spekulieren. Philia erwies sich als bemerkenswert umsichtig und verhinderte durch ihr rasches Handeln größeres Unheil. Nicht dass ich die Frau hierbehalten hätte, wenn es nach mir gegangen wäre. Trotzdem muss ich Philia ein großes Lob aussprechen.«
»Die Frau …« Hätte er gesagt ›die Hure‹, hätte es mich nicht tiefer getroffen. »Chade, du hast eine falsche Meinung von ihr. Und von mir. Als Kinder waren wir Freunde, und wenn jemand die Schuld daran trägt, wie … wie die Dinge sich entwickelt haben, dann bin ich es und nicht Molly. Weil ich glaubte, dass meine Freunde in der Stadt und die Stunden, die ich als ›Neuer‹ mit ihnen verbrachte, allein mir gehörten.« Ich merkte, wie töricht meine Worte waren, und verstummte.
»Hast du dir eingebildet, du könntest zwei Leben leben?« Chades Stimme war leise, der Ton scharf. »Wir gehören dem König, Junge. Unser Leben gehört ihm. Jede Minute jedes einzelnen Tages, wachend oder schlafend. Du hast keine eigene Zeit. Nur des Königs.«
Ich drehte mich halb zur Seite, um in die Flammen sehen zu können. Im Licht des eben Gehörten überdachte ich, was ich von Chade wusste. Wir trafen uns hier, nachts, in diesem abgelegenen Gemach. Bei Tag in der Burg, unter Menschen, hatte ich ihn nie gesehen. Niemand erwähnte seinen Namen. Hin und wieder reiste er, verkleidet als Lady Quendel, über Land. Einmal hatten wir zusammen einen Gewaltritt unternommen, nach Ingot, wo wir unsere erste Begegnung mit Entfremdeten hatten. Doch selbst das war auf Befehl des Königs geschehen. Wie sah Chades Leben aus? Ein Zimmer, gutes Essen und Wein und ein Wiesel zur Gesellschaft. Er war Listenreichs älterer Bruder. Wäre er nicht ein Bastard gewesen, hätte er auf dem Thron gesessen. Konnte ich aus seinem Beispiel auf meine Zukunft schließen?
»Nein.«
Chade hatte mir am Gesicht abgelesen, was ich dachte. »Ich habe dieses Leben gewählt, Junge. Nach einem Unfall, bei
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