Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
eine strenge Warnung ins Ohr geflüstert, erkannte ich plötzlich, dass ich kein Recht hatte, von meinem König Rechenschaft zu verlangen. Selbst dann nicht, wenn er seinem jüngsten Sohn die Erlaubnis gegeben hatte, mich zu töten. Ich presste die Lippen zusammen und ließ die Worte unausgesprochen.
Der König bemerkte den Ausdruck auf meinem Gesicht. Er gab seinem neuen Kammerdiener einen Wink. »Wallace, es ist mein Wunsch, dass du dich für eine Weile nach unten in die Küche begibst. Oder an einen anderen Ort deiner Wahl, so lange es sich nicht um dieses Zimmer hier handelt.« Wallace sah nicht erfreut aus, doch er neigte gehorsamst den Kopf und ging hinaus, wobei er allerdings die Tür hinter sich offen ließ. Ich stand auf und machte sie zu. Dann setzte ich mich wieder auf meinen Stuhl neben dem Bett.
»FitzChivalric«, sagte Listenreich ernst, »so geht das nicht.«
»Majestät.« Nach einem Moment schlug ich vor seinem Blick die Augen nieder.
Er sprach langsam, eindringlich. »Hin und wieder lassen ehrgeizige junge Männer sich dazu verführen, Dummheiten zu begehen. Wenn man sie auf ihre Fehler hinweist, entschuldigen sie sich.« Ich blickte abrupt auf. Erwartete er von mir eine Entschuldigung? Doch er fuhr fort: »Man hat mir eine solche Entschuldigung angeboten. Ich habe sie akzeptiert. Nun ist die Sache aus der Welt. Vertrau mir.« Er sprach in sanftem Ton, doch es war keine Bitte. »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«
Ich lehnte mich zurück und atmete langsam ein und aus, dann hatte ich meine Fassung wiedergewonnen und konnte meinem König offen ins Gesicht sehen. »Darf ich fragen, weshalb Ihr mich gerufen habt, Majestät?«
»Eine unangenehme Angelegenheit«, erklärte er mit gerunzelter Stirn. »Herzog Brawndy von Bearns hat sie in meine Hände gelegt. Er hält es für politisch unklug, selbst etwas zu unternehmen. Also habe ich ihm Hilfe zugesagt, wenn auch ungern. Haben wir nicht schon genug damit zu tun, uns der Piraten vor unseren Küsten zu erwehren, ohne auch noch einen Zwist im eigenen Haus auszutragen? Doch meine Untertanen haben das Recht, mich um Hilfe zu bitten, und ich habe die Pflicht, ihnen Gehör zu schenken. Wieder einmal wirst du der richtende Arm deines Königs sein, Fitz.«
Dann erfuhr ich die Einzelheiten der Lage in Bearns. Eine junge Frau aus der Seehundbucht war nach Burg Sturm gekommen, um sich bei der Garde zu verdingen. Brawndy nahm sie mit Freuden auf, denn sie war sowohl kräftig als auch geübt im Umgang mit Stab, Bogen und Schwert. Außerdem war sie eine dunkle Schönheit, klein und flink wie ein Wiesel. Sie erwies sich als Bereicherung seiner Truppe und war bald auch an seinem Hof eine willkommene Erscheinung. Sie besaß zwar wenig Charme, aber die Courage und Willensstärke, die eine Führernatur ausmachen. Brawndy selbst war von ihr angetan. Sie brachte Leben an seinen Hof und erfüllte die Garde mit neuem Diensteifer.
Doch neuerdings begann sie sich für eine Prophetin und Wahrsagerin zu halten. Sie behauptete, von El, dem Gott des Meeres, für ein größeres Geschick bestimmt zu sein. Ihr Name war bis dahin Madya gewesen und ihre Herkunft wenig bemerkenswert, doch nun hatte sie sich in einer Taufzeremonie aus Feuer, Wind und Wasser einen neuen Namen gegeben: Virago. Sie aß ausschließlich Fleisch von selbst erlegten Tieren und duldete in ihren Räumen nichts, was sie nicht entweder eigenhändig angefertigt oder im Kampf gewonnen hatte. Mit der Zeit wuchs ihre Gefolgschaft. Außer Soldaten zählten dazu auch einige der jüngeren Edelleute. Allen predigte sie die Rückkehr zu der Verehrung Els. Sie pries die alten Bräuche und glorifizierte das einfache Leben, in dem nur das einen Wert hatte, was ein Mensch sich durch eigene Kraft verschaffen konnte.
Die Korsaren und die Entfremdung betrachtete sie als Strafe des Meeresgottes für unsere Verweichlichung und beschuldigte das Geschlecht der Weitseher, an diesem Irrweg die Schuld zu tragen. Anfangs hatte sie sich mit Andeutungen begnügt, in letzter Zeit war sie offener geworden, aber noch nicht so kühn, unverhohlen von Hochverrat zu sprechen. Immerhin, es hatte Stieropfer auf den Klippen gegeben, und sie hatte wie in längst vergangenen Tagen eine Reihe junger Leute mit dem Blut gezeichnet und zu einer spirituellen Heilssuche ausgesandt. Brawndy waren Gerüchte zu Ohren gekommen, wonach sie einen ihrer würdigen Gemahl suchte, der mit ihr gegen den Weitseher-König zu Felde zog, um ihn vom Thron zu
Weitere Kostenlose Bücher