Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
sie habe beim König immer ein offenes Ohr. Wer sollte mein weibliches Alter Ego vergiften wollen?«
»Edel«, sagte ich wieder. »Ich habe dich gewarnt, dass er glaubt, Lady Quendel wäre des Königs Giftmischerin. Wie konntest du so unvorsichtig sein? Du weiß, er gibt ihr die Schuld am Tod seiner Mutter. Sollen wir um den heißen Brei herumreden, bis er uns alle vergiftet hat? Er wird nicht eher Ruhe geben, bis er auf dem Thron sitzt.«
»Und ich sage dir nochmals, ich will nichts hören von Verrat !« Chade schrie es fast heraus. Er setzte sich hin und nahm Schleicher auf den Schoß. Das kleine Tier putzte sich mit den Vorderpfoten umständlich den Schnurrbart, dann rollte es sich zusammen, um zu schlafen. Während er das Wiesel streichelte, betrachtete ich Chades bleiche Hand mit den deutlich hervortretenden Sehnen und der pergamentenen Haut. Er hielt den Blick gesenkt, sein Gesicht war steinern. Endlich sagte er mit ruhiger Stimme: »Ich denke, unser König hatte Recht. Wir sollten alle unsere Wachsamkeit verdoppeln. Und nicht nur, was Kettricken betrifft. Oder uns selbst.« Als er den Kopf hob und mich ansah, waren seine Augen voller Qual. »Achte auf deine Frauen, Junge. Weder Unschuld noch Ahnungslosigkeit sind ein Schutz vor hinterhältigen Anschlägen wie diesem. Philia, Molly, sogar Lacey. Finde einen Weg, einen unauffälligen Weg, auch Burrich eine Warnung zukommen zu lassen.« Er seufzte und fragte in das leere Zimmer hinein: »Haben wir außerhalb unserer Mauern nicht schon Feinde genug?«
»Genug«, bestätigte ich. Edels Namen ließ ich dies mal und künftig unerwähnt.
Er schüttelte den Kopf. »Dies ist kein gutes Omen vor dem Antritt einer Reise.«
»Eine Reise? Du gehst auf eine Reise?« Ich konnte es kaum glauben. Chade verließ praktisch nie die Burg. Oder nur selten. »Wohin?«
»Wohin gute Gründe mich führen. Jetzt aber denke ich fast, ich habe gute Gründe zu bleiben.« Er schloss für einen Moment wie vor Müdigkeit die Augen. »Pass auf dich auf, Junge, während ich fort bin. Aus der Ferne vermag ich dich nicht vor Unheil zu bewahren.« Und mehr wollte er mir nicht sagen.
Als ich ihn verließ, blickte er gedankenverloren ins Feuer, die Hände um den zusammengerollten Körper des Wiesels gefaltet. Ich ging mit weichen Knien die Treppe hinunter. Der Anschlag auf Chade hatte mich mehr erschreckt als alles andere. Nicht einmal seine geheime Existenz war ausreichend gewesen, ihn davor zu bewahren. Und es gab andere, leichtere Ziele, die mir ebenso am Herzen lagen.
Verflucht der Hochmut, der mich am Morgen veranlasst hatte, Edel unter die Nase zu reiben, dass er mich nicht länger herumstoßen konnte. Ich war ein Narr gewesen, ihn herauszufordern; ich hätte wissen müssen, dass ich dadurch jeden, der mir nahestand, in Gefahr brachte. In meinem Zimmer blieb ich nur so lange, wie nötig war, um in andere Kleider zu schlüpfen, dann stieg ich die Treppe hinauf und schlich zu Mollys Kammer. Ich klopfte leise an die Tür.
Nichts rührte sich. Ein zweites Mal wollte ich nicht klopfen. Es fehlten noch ein oder zwei Stunden bis zum Morgen, die Bewohner der Burg lagen nach der denkwürdigen Nacht noch in tiefem Schlummer, aber wie das Unglück es wollte, wachte vielleicht doch die falsche Person auf und ertappte mich vor Mollys Tür. Andererseits musste ich wissen, ob es ihr gutging.
Der einfache Riegel an ihrer Tür stellte für niemanden ein Hindernis dar, und ich nahm mir vor, für einen besseren zu sorgen. Lautlos wie ein Schatten betrat ich ihre Kammer, und lautlos schloss ich die Tür hinter mir.
Im Kamin war das Feuer niedergebrannt. Die unter der grauen Aschehülle glimmenden Scheite erfüllten die Dunkelheit im Raum mit einem rötlichen Schimmer. Ich verharrte einen Moment, bis meine Augen sich an das dunkle Licht gewöhnt hatten, dann ging ich auf Zehenspitzen weiter. Vom Bett her konnte ich Mollys tiefe, regelmäßige Atemzüge hören. Damit hätte ich zufrieden sein sollen, aber mich quälte die Vorstellung, sie könnte vergiftet sein und innerlich vor sich hin fiebern und langsam in den Tod hinüberdämmern. Ich nahm mir fest vor, dass ich nicht mehr tun wollte, als nur auf ihrem Kissen zu fühlen, ob sie fieberte. Nicht mehr als das. Ich huschte zu ihrem Bett.
In dem ungewissen Licht konnte ich gerade eben die Umrisse ihres Körpers unter der Decke ausmachen. Sie roch nach Heide, es war ein warmer und süßer Duft. Sie war gesund. Hier schlief kein fieberheißes Giftopfer.
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