Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Herrscherin! Die geborene Herrscherin, und endlich ist sie aufgewacht, um zu zeigen, was in ihr steckt. Genau zur rechten Zeit! Vielleicht wird sie unser aller Retterin sein!«
Seine Euphorie mutete mir beinahe unheimlich an.
»Du weißt nicht, wie viel Menschen heute gestorben sind«, warf ich ihm vor.
»Aber nicht vergebens! Wenigstens nicht vergebens! Das waren keine vergeudeten Leben, FitzChivalric. Bei El und Eda, Kettricken hat den Instinkt und die Ausstrahlung! Würde dein Vater noch leben und sie säße neben ihm auf dem Thron, hätten wir einen König und eine Königin, die fähig wären, die ganze Welt unter ihrem Zepter zu vereinen.« Er trank einen Schluck Wein und wanderte weiter im Raum umher. Ich hatte ihn nie so überschwänglich gesehen. Fehlte nur noch, dass er Freudensprünge machte. Auf einem Tisch stand ein Korb mit aufgeklapptem Deckel, sein Inhalt war auf einem Tuch ausgebreitet. Wein, Käse, Würste, in Essig eingelegtes Gemüse und Brot. Also selbst hier in seinem abgelegenen Turm nahm Chade Anteil am Leichenschmaus. Schleicher, das Wiesel, hüpfte am mir entgegengesetzten Ende auf den Tisch und betrachtete mich angesichts der Leckerbissen mit futterneidischen Augen. Chades Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
»Sie besitzt viele von den Fähigkeiten, die auch Chivalric hatte. Den Instinkt, eine sich bietende Gelegenheit zu ergreifen und zu nutzen. Sie formte den Feldzug zu großer Tragödie, was in anderen Händen zu einem Schlachtfest geworden wäre. Junge, Bocksburg hat eine Königin, eine wirkliche Königin!«
Ich fühlte mich ein wenig abgestoßen von seiner Freude. Und, für einen Augenblick, auch betrogen. Zögernd fragte ich: »Glaubst du wirklich, die Königin hätte nur einen großen Auftritt im Sinn gehabt? Dass alles nur ein kalkulierter politischer Schachzug war?«
Er blieb stehen und überlegte. »Nein. Nein, FitzChivalric, ich glaube, sie folgte der Stimme ihres Herzens. Aber deswegen ist es nicht weniger brillant. Ah, du hältst mich für zynisch. Oder für gefühllos in meiner Ignoranz. Die Wahrheit ist, ich weiß nur zu gut Bescheid, weiß viel besser als du, was der heutige Tag bedeutet. Ich weiß, heute sind Menschen ums Leben gekommen. Ich weiß sogar, dass auch sechs unserer eigenen Leute verwundet, doch überwiegend leichtere Verletzungen davontrugen. Ich kann dir die genaue Zahl der toten Entfremdeten nennen, und wenn du mir einen Tag Zeit gibst, auch ihre Namen. Namen, die in meinen Aufzeichnungen über die Gräueltaten der Roten Korsaren enthalten sind, über die ich genau Buch geführt habe. Ich werde es sein, Junge, der dafür sorgt, dass den überlebenden Angehörigen die Beutel mit dem Blutgeld ausgehändigt werden, dazu ein Schreiben, das den Dank und das Bei leid Seiner Majestät behinhaltet sowie die Bitte, ihn bei seinem Rachefeldzug gegen den Feind zu unterstützen. Das sind keine angenehmen Briefe, die ich da zu schreiben habe, Fitz, aber ich werde sie aufsetzen, in Veritas’ eigener Handschrift, um vom König unterzeichnet und besiegelt zu werden. Oder hast du geglaubt, ich täte nichts anderes, als für meinen König zu morden?«
»Ich bitte um Entschuldigung. Es hat mich nur gewundert, wie du so vergnügt sein kannst …«
»Aber ich bin vergnügt! Und du solltest es auch sein! Wir trieben bisher steuerlos auf dem Meer und waren ein Spielball von Wind und Wellen. Aber nun tritt eine Frau auf, um das Ruder zu er greifen und den Kurs zu bestimmen. Und ich sage dir, es ist ein Kurs, der mir gefällt. Wie jedem anderen in diesem Königreich, dem die Duckmäuserei der vergangenen Jahre gegen den Strich gegangen ist. Wir erheben uns, Junge, wir erheben uns, um zu kämpfen!«
Endlich begriff ich, dass sein Überschwang von der Woge seines Zorns und seiner Trauer getragen wurde. Ich erinnerte mich an den Ausdruck auf seinem Gesicht, als wir an jenem schwarzen Tag nach Ingot hingeritten waren und sahen, was die Roten Korsaren aus unseren Landsleuten gemacht hatten. Damals hatte er mir gesagt, auch ich würde lernen, mit meinem Volk zu leiden, es wäre ein Erbteil meines Bluts. Er hatte Recht mit seiner Behauptung und auch damit, dass dies nicht allein ein Tag der Trauer, sondern auch ein Tag der Freude war. Ich hob mein Glas, und gemeinsam tranken wir auf die Königin. Dann wurde Chade ernst und eröffnete mir den Grund, weshalb er mich gerufen hatte. Der König selbst hatte nochmals den Befehl gegeben, ich solle über Kettricken wachen.
»Darüber
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