Flaming Bess 02 - Wo die Echse herrscht
das erste Sternenschiff der legendären Erde verbarg.
Auf ihrem Weg zur Zentralsektion begegnete Gahl nur selten einem Menschen; die meisten Flüchtlinge schliefen, dem Rhythmus ihrer inneren biologischen Uhr unterworfen, und erst in etwa acht Stunden, wenn die künstliche Bordnacht endete und die gedämpfte Beleuchtung zur normalen Helligkeit hochgeschaltet wurde, würden sich die Gänge beleben und Hunderte von Stimmen das Deck mit Lärm erfüllen.
Nach einigen Minuten bog Gahl in einen Korridor, der zur Leeseite der Zentralsektion führte und in einer großen Halle endete. Sie blieb stehen und sah sich um. Das schimmernde Metall der Decke war hinter der holografischen Projektion eines sternenreichen Nachthimmels verschwunden; einige Konstellationen erkannte sie wieder: die Sternbilder des Fürsten und des Narren, das Kreuz des Ostens, die milchigen Lichtschleier der Westwolken und — ein heller Fleck im Zenit — der Herculeshaufen, von der Nordhalbkugel von Terminus aus gesehen. Die Luft roch nach Gras, Laub und Blütenstaub, und im künstlichen Sternenlicht erinnerten die Bäume und Büsche der Gartenanlage an große kauernde Tiere.
Gahl lauschte, aber alles war still. Nur die Blätter rauschten im Wind der Luftumwälzpumpen.
Wehmütig dachte sie an die tiefen, friedlichen Wälder von Dragensteyn zurück, die sie in ihrer Kindheit durchstreift hatte. An das weiche, hellblaue Moos am Fuß der himmelhohen Vogelbäume, an den Spinnwebfarn, der in der Dämmerung phosphoreszierte, und an die scheuen Goldpfeifer, die des Nachts die Wälder mit ihrem trillernden Gesang erfüllten.
Nie wieder würde sie im Moos liegen und dem Gesang der Goldpfeifer zuhören können. Dragensteyn war für die Menschen verloren und in der Hand der Herculeaner — wie alle anderen Welten des Sternenbundes.
Gahl preßte die Lippen zusammen.
Denk an die Zukunft, sagte sie sic h wieder. Nur die Zukunft zählt.
Sie folgte einem schmalen Kiesweg, der sich wie ein blütenweißes Band durch das Buschwerk schlängelte und auf eine grasbewachsene Lichtung mündete. Dort blieb sie stehen.
»Diva!« rief sie leise.
Horchend wartete sie, aber kein Miauen antwortete. Sie war enttäuscht.
Meistens hatte sie ihre Katze im Leegarten wiedergefunden, und sie hatte gehofft, daß Diva auch diesmal hier sein würde, durch das hohe Gras streifend, durch die Büsche schleichend.
»Diva!« rief sie erneut.
Ein Rascheln. Gahl fuhr herum und schrie unwillkürlich auf, als eine Gestalt aus der Dunkelheit auf sie zutrat.
»Keine Angst«, erklang eine Männerstimme. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Die Gestalt kam näher. Ein großer, muskulöser Mann mit strohblonden Haaren und einem offenen, freundlichen Gesicht. Er lächelte entschuldigend, und ebenmäßige Zähne blitzten im künstlichen Sternenlicht. Er trug die purpurrote Uniform der Raumflotte des Sternenbundes, und an seiner linken Brustseite prangte ein münzgroßes Abzeichen in Form einer stilisierten Sonne.
»Kospodin«, stellte er sich vor und neigte höflich den Kopf. »Calvin Kospodin. Jetpilot der Flotte — das heißt, als es noch eine Flotte gab.«
Eine Spur Bitterkeit mischte sich in sein Lächeln. »Derzeit bin ich ein einfacher Flüchtling wie alle anderen an Bord. Ich habe ihr Rufen gehört und wollte nachsehen, wer noch außer mir an Schlaflosigkeit leidet. Ich bedaure es zutiefst, daß ich Ihnen Angst eingejagt habe. Es war nicht meine Absicht.«
»Schon gut«, sagte Gahl hastig. »Ich hatte nur nicht erwartet … «
» … einen anderen Nachtschwärmer im Leegarten zu treffen?« Kospodin lachte leise. »Sie haben recht. Gewöhnlich liege ich um diese Zeit in meinem Bett und träume davon, wieder im Cockpit eines Flottenjets zu sitzen.«
Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Nun, die Zeiten sind vorbei. Auch wenn Admiral Cluster immer noch hofft, daß wir zu den Inneren Welten zurückkehren und den Kampf gegen die Herculeaner aufnehmen … Und Sie? Was hat Sie hierher verschlagen?«
Er musterte sie intensiv, und Gahl spürte die Hitze in ihren Wangen. Sie war dankbar, daß die Dunkelheit ihr Erröten vor Kospodins Blicken verbarg. »Ich suche meine Katze«, sagte sie. »Haben Sie sie vielleicht gesehen?«
»Ihre Katze?« Kospodin runzelte die Stirn. Fast verlegen fragte er: »Was ist eine Katze?«
»Oh, ein Tier. Nicht sehr groß, mit schwarz-weißem Fell und grünen Augen.« Sie hatte nicht daran gedacht, daß die meisten Menschen noch nie eine
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