Flaming Bess 02 - Wo die Echse herrscht
Null, und auf den Schaltpulten, die wie Höcker aus dem Boden ragten, lag eine fingerdicke Staubschicht.
Notlicht, rot und müde wie ein verlöschendes Kaminfeuer, tauchte den Raum in blutige Dämmerung.
Ihre Schritte wirbelten den Staub auf.
»Einst«, flüsterte Shee d’Anshe, »wurden von diesem Raum aus die Kältebetten der Erdkolonisten überwacht.«
Einst, dachte Gahl, vor zwanzig- oder dreißigtausend Jahren …
Die Linderghast-Frau lauschte in sich hinein, und plötzlich schien es Gahl, daß sie nicht mehr allein waren, aber bei ihrem Eintritt war der Raum leer gewesen, und die Tür hatte sich nicht geöffnet. Das Gefühl wurde stärker, und da war wieder dieses rätselhafte Lächeln auf Shees Gesicht, und ihr Blick ging an Gahl vorbei, und kalte Luft strich über Gahls Schulter.
»Gahl … «, sagte eine dunkle, hypnotische, vertraute Stimme hinter ihr. »Dreh dich um, Gahl Belfort.«
Und im gleichen Moment kehrte Frieden in Gahl ein.
Langsam drehte sie sich um, zu Mahmed, den Propheten, der wie ein Gespenst aus dem Nichts gekommen war, eine Gestalt ganz in Weiß und in strahlendes Licht getaucht, das sein Gesicht verbarg und seine Umrisse verschleierte.
Gahl neigte den Kopf, demütig, trunken vom weißen Licht und den unsichtbaren Schwingungen, die von dem Propheten ausgingen, Liebe und Friede und eine schreckliche, übermenschliche Güte, die ihr die Kehle zuschnürte und sie mit dem Verlangen erfüllte, ihm zu dienen und ihm seine Güte durch ihren Dienst zu lohnen.
»Mein Prophet«, sagte Gahl mit einer Stimme, die vor schierem Glück zitterte, »ich bin deinem Ruf gefolgt. Verfüge über mich, mein Prophet.«
Seine gleißende Hand, ätherisch und strahlend wie eingefangenes Sternenlicht, berührte ihre Schulter.
Sie war wieder auf Dragensteyn, unter dem Silbermond, und die Häuser der Stadt brannten wie Zunder. Todesschreie hallten durch die Nacht, Männer, Frauen und Kinder flohen in wilder Hatz vor den Schatten und den schwarzgepanzerten Soldaten, die aus den Schatten traten. »Lauf, Gahl, lauf!« rief ihr Vater, um dann unter den Schüssen der Klonsoldaten zu sterben, und ihre Mutter verschlangen die Flammen. Aber diesmal lief sie nicht davon; diesmal war sie frei von Angst, denn Mahmed war bei ihr und beschützte sie vor allen Gefahren. Von nun an würde er immer bei ihr sein, ihr Prophet, ihr Herr und Meister …
Die Vision wich, doch Mahmed blieb.
Und in der blendenden Helligkeit, die aus seiner Seele strömte, verbrannte ihr Wille, so wie ihre Mutter verbrannt war, und ein Teil ihres Ichs starb,so wie ihr Vater gestorben war, und Mahmeds Worte füllten die Leere in ihrem Herzen.
»Du bist eine Auserwählte, Gahl«, raunte er ihr zu. »Du bist auserwählt, die letzte Pforte zu durchschreiten und für alle Zeit im Land des Friedens und des Glücks zu leben. Doch es gibt Feinde, die die Pforte schließen wollen, Widersacher, fremd und grausam und schrecklich in ihrem Zorn … Ich habe dir gesagt, daß auf jeden einzelnen der Auserwählten eine Prüfung wartet, und für dich ist nun der Moment gekommen, deinen Glauben an mich auf die Probe zu stellen.
Bist du bereit, Gahl Belfort?
Bist du bereit?«
Sie nickte nur. Sie wußte, daß der Prophet sie auch ohne Worte verstand.
Aus weiter Ferne hörte sie ein an- und abschwellendes Heulen, der Ruf der Sirenen, die vor dem Dhrakanen warnten, dem grausamen Feind, der nun auch dieses Deck heimsuchte, aber sie hatte keine Angst. Der Prophet war bei ihr.
»Gleich, Schwester Gahl«, flüsterte der Prophet, »wirst du diesen Raum verlassen und durch den Korridor bis zum Lastenaufzug gehen. Du wirst dich nicht fürchten. Du wirst nicht antworten, wenn dich jemand anspricht. Du hast eine Mission zu erfüllen, und diese Mission verlangt, daß du schweigend gehorchst. Siehst du, Schwester Gahl, was ich in der Hand halte?«
Das Licht blendete sie, und sie blinzelte. Wieder nickte sie. Es war ein eigroßer Metallzylinder. Er erinnerte sie an etwas, an … . Feuer und Rauch, Donner und Tod — aber nein, nein, es konnte nicht sein, es war unmöglich, und sie vergaß es, und Mahmed half ihr beim Vergessen.
»Nimm, Schwester Gahl.«
Sie nahm den Metallzylinder. Er fühlte sich kühl an.
»Dies ist ein Geschenk, Schwester Gahl«, wisperte Mahmed. »Für die Kommandantin. Für Flaming Bess. Sie hat dir das Leben gerettet, nicht wahr? Sie vertraut dir, nicht wahr?«
Gahl konnte noch immer nicht sprechen. Irgend etwas stimmte nicht … Irgend etwas
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