Flamme der Freiheit
gleichen Kraft und Tiefe wie sie ihn? Nicht ein einziges Mal hatte er ihr gesagt, dass er sie liebe. Umgekehrt hatte sie es auch nicht getan. Mehrmals hatte ihr dieser Satz aber auf den Lippen gelegen, hätte sie ihn jubelnd ausrufen oder zärtlich flüstern mögen. Stattdessen biss sie sich ganz fest auf die Unterlippe und schwieg.
Grübelnd starrte Eleonora auf die Tapete ihres Zimmers. Es war noch dieselbe wie früher. Sekundenlang vermeinte sie die hellen Entzückensrufe der beiden Komtessen zu vernehmen, als sie mit jugendlicher Begeisterung ihre renovierten Zimmer in Besitz nahmen. Mit welchem Bedacht Gräfin Dorothea die Farben für die jungen Mädchen ausgewählt hatte, das tiefe Blau für Charlotte, das weiche Rosé für die kindliche Sophie und das vornehme Smaragdgrün für Eleonora. »Du hast zwar graue Augen, Eleonora, aber wenn du Grün trägst, werden auch sie grün.« Verwirrt schaute sie um sich. Für einen Moment war ihr vorgekommen, als hätte Gräfin Dorothea tatsächlich zu ihr gesprochen.
Die Tage nach Alexanders Abreise versuchte Eleonora weiterhin so zu tun und zu leben, als wäre ihre Anwesenheit im Prewitzschen Stadtpalais eine Selbstverständlichkeit. Man ließ es ihr gegenüber an Respekt und Ehrerbietung nicht mangeln. Trotz alledem, ganz leise und sachte schlich sich eine Veränderung in das Verhalten der Dienerschaft ein. Die Zofe knickste nicht mehr ganz so ehrerbietig und musterte sie sogar richtig frech. Auf ihr Klingeln hin dauerte es viel länger als bei Alexander, dass jemand von den Dienern auftauchte. Die Handtücher wurden nicht mehr so häufig getauscht. Eleonora musste sogar darum bitten, dass ihre Bettwäsche gewechselt wurde. Als sie einmal ganz spontan die Küche betrat, um sich selbst ihren Tee zuzubereiten, unterbrach man bei ihrem Anblick abrupt das Gespräch, musterte sie mit einem kurzen scheelen Blick und schwieg. Wortlos beobachtete man, wie sie sich ihren Tee aufbrühte. Niemand kam ihr zu Hilfe, als sie mit dem vollen Tablett die Küche verlassen wollte, sondern sie musste die Türklinke selbst mit dem Ellbogen hinunterdrücken. Das war das erste und letzte Mal, dass sie versucht hatte an alte Gewohnheiten anzuknüpfen.
Es dauerte nicht lange, und Eleonora begann sich zu langweilen, furchtbar zu langweilen. In den vergangenen Jahren hatte sie stets hart gearbeitet und war abends erschöpft ins Bett gefallen. Auch zuvor, als sie im Haushalt der Prewitzens lebte, hatte sie ein ausgefülltes Leben geführt, Musikstunden, gemeinsames Essen, Konversation mit der Gräfin, Lektüre, Debatten bei Tisch, Ausfahrten und Ausritte, Scharaden und Theater- und Musikabende. All das gab es nun schon lange nicht mehr. Das Prewitzsche Stadtpalais wurde zwar instand gehalten, es wurde gehegt, gepflegt, gesäubert, regelmäßig geputzt und gelüftet, aber den guten Geist des Hauses konnte man mit derlei Geschäftigkeit nicht zurückholen. Mit dem Tod von Gräfin Dorothea hatte dieses Gebäude seine Seele verloren. Es besaß keine Atmosphäre mehr. In den Tagen von Alexanders Gegenwart, in ihrer kopflosen Verliebtheit war das Eleonora zunächst gar nicht so aufgefallen. Umso stärker empfand sie nunmehr den Verlust seines einstigen Flairs.
Eleonora hatte nichts zu tun, wusste nicht, wie sie ihre Tage ausfüllen sollte, eine zuvor nie gemachte Erfahrung. Die Langeweile machte sie schlaflos. Bis zum Morgengrauen wälzte sie sich in ihrem Bett herum, schlummerte immer nur minutenlang ein, bis sie sich gegen acht Uhr doch zum Aufstehen zwang. Sie hätte ja auch liegen bleiben können, aber nein, das vermochte sie nicht. Lieber erhob sie sich unausgeschlafen und ging eine Runde im Tiergarten spazieren. Wenn sie gegen Mittag nach Hause kam, war der Tisch stets für eine Person gedeckt, wurde ihr ein schmackhaftes Essen serviert, das sie fast unberührt zurückgehen ließ. Längst gab es keine Babette mehr, die sie dafür liebevoll schalt und sie mit Grießbrei traktierte. Noch ein Mensch, der aus ihrem Leben verschwunden war. Für immer!
Eleonora lernte in diesen Wochen, wie quälend das Warten sein konnte. Jeden Tag lauerte sie auf Post von Alexander. Sie schrieb ihm jeden Tag, aber er antwortete kaum. Ein kurzes Billett hatte er sich abgerungen.
»Bin gut in meiner neuen beruflichen Heimat angekommen. Meine Offiziere und ich werden uns aneinander gewöhnen müssen, erst recht der gemeine Soldat. Alles weiter mündlich. Alexander.«
Las sich so der Brief an eine Frau, die man noch
Weitere Kostenlose Bücher