Flamme der Freiheit
Alexander schien fast gekränkt.
»Diese Zeit meine ich auch gar nicht.« Eleonora schüttelte heftig den Kopf. »Das waren die bisher schönsten Jahre meines Lebens. Unter der Obhut deiner Großmutter fühlte ich mich behütet und beschützt, glaubte wirklich, nichts und niemand würde mir jemals etwas anhaben können. Aber nach ihrem Tod …« Sie brach ab und schwieg.
»Ich weiß, dass du sehr schwere Jahre hinter dir hast, Eleonora. Ich empfinde allergrößte Hochachtung dafür, wie tapfer du dich durchgeschlagen hast. Du warst dir für keine Arbeit zu schade und hast dir dennoch Stolz und Anmut bewahrt. Dafür bewundere ich dich uneingeschränkt, und nicht nur ich«, setzte er hinzu.
Eleonora hob den Kopf und schaute ihn erstaunt an. »Wer denn noch?«
»Ja hast du denn nicht gemerkt, wie Hedebrink dich anbetet!«
»Anbetet?«, wiederholte sie erstaunt. »Er weiß mich zu würdigen, er schätzt meine Arbeit.«
»Ach, Eleonora, manchmal bist du unglaublich naiv. Das finde ich so faszinierend an dir, den einen Moment verkörperst du die streitbare Amazone, in der nächsten Minute könnte man glauben, mit einem zwölfjährigen Mädchen zu sprechen.«
»Ich bin mehr als doppelt so alt«, erinnerte ihn Eleonora.
Alexander stöhnte in gespielter Verzweiflung. »Musst du mich denn darauf stoßen? Das erinnert mich immer daran, dass ich noch viel älter bin. Zehn Jahre älter als du. Du bist jetzt so alt wie ich damals, als ich dich auf dem Sophienhof zum ersten Mal küsste.«
»Und mir mit deinem Verschwinden fast das Herz brach«, sagte Eleonora.
»Es geschah nicht freiwillig, wie oft muss ich dir das noch sagen.«
»Bis an das Ende aller Tage«, forderte Eleonora. Wenn er ihr schon keine Liebeserklärung machen konnte, sollte er wenigstens das bestätigen.
Die ersten Nächte nach Eleonoras Rückkehr aus Hohenschönhausen übernachteten sie im Hotel St. Petersburg. In getrennten Zimmern natürlich. Eleonora versuchte sich ständig einzureden, dass in diesem feinen Hotel niemand Anstoß an ihrer Gegenwart nahm. Alexanders Auftreten, sein Selbstbewusstsein, seine gesellschaftliche Sicherheit umgaben sie wie ein schützender Panzer. Wer sich so selbstverständlich wie sie in diesen Tagen im unmittelbaren Umfeld eines Angehörigen des hohen preußischen Adels und Generals bewegte, von diesem mit Hochachtung und Zuvorkommenheit behandelt wurde, dem wurde fast automatisch die Angehörigkeit zu den feinsten Berliner Kreisen zugebilligt.
Zumindest en face. Eleonora misstraute jedoch der zur Schau getragenen Zuvorkommenheit, der Selbstverständlichkeit und Gelassenheit, manchmal sogar schon Devotheit, mit der man ihr entgegentrat.
Alexander behandelte sie in dieser Zeit nicht nur wie seinesgleichen, sondern wie eine angebetete Prinzessin, der er jeden auch noch so absurden Wunsch zu erfüllen trachtete. Bescheiden, wie Eleonora nun einmal war, dachte sie gar nicht daran, seine Großzügigkeit auszunutzen. Nur in einer Sache blieb sie unnachgiebig.
»Ich will einfach nicht in das Palais zurück. Ich wünsche mir für dich und mich so etwas wie einen ganz persönlichen Rückzug, eine Bleibe, ein kleines Heim, das nur dir und mir gehört«, sagte sie, als sie sich am zweiten Abend im Speisesaal gegenübersaßen. Sie schaute um sich. »Ich mag diese Blicke nicht, ich mag nicht, wie wir beobachtet werden, ich mag nicht, wie hinter unserem Rücken getuschelt wird.«
»Kein Mensch beachtet uns, kein Mensch würde es wagen, hinter meinem Rücken zu reden. Wenn dich jemand anschaut, dann sind es nur bewundernde Blicke, die deiner Schönheit gelten«, behauptete hingegen Alexander.
»Schmeichler!«, entgegnete Eleonora nachsichtig.
»Auf Dauer können wir hier nicht im Hotel bleiben«, sagte Alexander nun. »Meine Großmutter würde sich im Grabe herumdrehen angesichts der Tatsache, dass das Stadtpalais bewirtschaftet wird und ich hier wochenlang im Hotel logiere.«
»Ich will aber nicht in das Stadtpalais zurück«, wiederholte Eleonora störrisch. »Es ist für mich mittlerweile mit zu viel schlechten Erinnerungen verbunden. Andererseits fehlt deine Großmutter wiederum an allen Ecken und Enden.«
»Ich kann schon verstehen, dass du aus ihrem Schatten herauswillst«, erwiderte Alexander nachdenklich. »Hast du auch manchmal das Gefühl, dass sie dich, wo immer du dich auch im Stadtpalais oder auf Sophienhof bewegst, beobachtet?«
»Ich dachte, es geht nur mir so«, wunderte sich Eleonora.
»Im Seitenflügel war
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