Flamme der Freiheit
wenige Tage zuvor in den Armen gehalten und ihr leidenschaftliche Zärtlichkeiten ins Ohr geflüstert hatte? Vergeblich drehte und wendete Eleonora auch diesmal das Blatt auf der Suche nach einer verborgenen Liebeserklärung, einem geheimen Zeichen. Nichts!
Nach drei Wochen Langeweile und Schlaflosigkeit hielt Eleonora es nicht mehr aus. Sie packte ihr kleines Köfferchen mit dem Notwendigsten und verließ unter den erstaunten Blicken der frechsten Zofe das Haus.
»Aber Demoiselle Prohaska, wohin gehen Sie?«, rief sie ihr hinterher.
»Weg«, entgegnete Eleonora.
»Wohin denn?«
»Ich wüsste nicht, dass dich das etwas anginge«, erwiderte sie hochnäsig.
»Aber Demoiselle Prohaska, was sollen wir dem Grafen bei seiner Rückkehr denn sagen, wohin Sie gegangen sind?« Richtig verzweifelt klang die Zofe jetzt.
»Gar nichts sollt ihr ihm sagen, er wird mich schon finden, wenn er mich finden will.« Hocherhobenen Hauptes schritt sie davon. Es war das zweite Mal, dass Eleonora das Prewitzsche Stadtpalais verließ. Aber diesmal geschah es nicht heimlich, bei Nacht und Nebel, als überstürzte Reaktion auf eine maßlose Kränkung, sondern diesmal war es ihre freie Entscheidung gewesen zu gehen. Dabei hätte sie ungestört und unbehelligt ein luxuriöses Leben führen können. Alexander hatte die Generosität seiner Großmutter geerbt. Offenkundig hatten auch die vergangenen Kriege und harten Zeiten dem Wohlstand der Prewitzens nichts anhaben können.
Wie eine Made im Speck, dachte Eleonora angewidert. Das ist unangemessen. Das gebührt einer Eleonora Prohaska nicht, der Tochter eines preußischen Soldaten.
Karl Friedrich Hedebrink schien wenig überrascht, als sie vor ihm stand und ein wenig verlegen fragte, ob er ihre Dienste noch oder wieder benötigen könne.
»Mehr denn je«, antwortete er nur. Weiter sagte er nichts. Er fragte nicht, sondern lächelte sie nur an. Aber diesmal war es ein wissendes Lächeln, das Eleonora zutiefst beschämte. Als wäre sie niemals weg gewesen, schlüpfte sie zurück in ihre alte Rolle. Nicht ganz, denn Hedebrink hatte inzwischen eine tüchtige Haushälterin, so dass Eleonora die schweren Arbeiten wie Holz hacken, Wäsche waschen und die Schmutzarbeiten in der Küche nunmehr erspart blieben. Gegen ihren Protest.
»Wir können Ihren zarten Händen doch nicht diese Arbeit zumuten«, wehrte er wiederum ab. Schon bei der Begrüßung hatte er ihre weichen, gepflegten Hände bemerkt. »Nur eine Dame von hohem Stand hat eine solch zarte Haut«, stellte er fest, als er tastend über ihren Handrücken fuhr. Eleonora freute sich über sein Kompliment. In der Tat, ihre Hände hatten sie einige Zeit und viel Pflege gekostet. Das Ergebnis hatte sie dafür belohnt. So beschränkte sich Eleonoras Rolle fortan auf die der Gesellschafterin, der Vorleserin und der Sekretärin, der der blinde Anwalt seine juristischen Schriftsätze diktierte.
»Dieses wird einer meiner letzten Fälle sein«, sagte er eines Abends.
»Warum das denn?«, wunderte sich Eleonora.
»Ich werde meine Kanzlei schließen«, verkündete er.
»Aber Sie lieben doch Ihren Beruf«, protestierte Eleonora.
»Ich werde mir einen Lebenstraum erfüllen. Ich fahre nach Italien.«
Eleonora konnte gar nicht anders, als sein strahlendes Lächeln zu erwidern. »Schon sehr bald?«
»Im nächsten Frühjahr. Sie können mich ja begleiten«, schlug Hedebrink vor.
»Bitte machen Sie sich nicht lustig über mich«, wehrte Eleonora ab.
»Ich mache mich keineswegs lustig über Sie, Christine«, sagte Hedebrink. »Sie wären für mich die ideale Begleiterin. Sie sind klug, Sie sind gebildet, eine hervorragende Vorleserin, eine gute Sekretärin und groß und stark dazu. Was könnte es auf Reisen für mich Besseres geben, als mich unter Ihren Schutz zu begeben?« Hedebrink lächelte, bittend und ironisch zugleich. »Wären Sie bereit, mich zu begleiten?« Er hob den Kopf und drehte ihn ihr angespannt lauschend zu.
Eleonora schwieg.
Hedebrink sank in sich zusammen. »Ich hätte mir meine Frage ersparen können«, sagte er resigniert. »Wahrscheinlich kann ich die Tage schon an einer Hand abzählen, bis Ihr Graf wieder auf meiner Schwelle steht, um Sie mir nochmals zu entführen.«
» Er ist nicht mein Graf«, erwiderte Eleonora scharf.
Hedebrink seufzte. »Ich tue es überhaupt nicht gerne, aber ich muss Ihnen leider, leider recht geben, Christine.«
Er klang sehr traurig bei diesen Worten. Und in Eleonora stieg wieder einmal jenes
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