Flamme der Freiheit
undefinierbare Unbehagen empor.
Fast ein Vierteljahr benötigte Alexander, um Eleonora wiederzufinden. Umso wütender stand er im tiefen Winter tatsächlich vor Hedebrinks Haustür und läutete Sturm.
»Dass ich einfach nicht früher darauf gekommen bin, dich hier zu suchen«, sagte er statt einer Begrüßung. »Du packst jetzt deine Sachen und kommst sofort mit nach Hause.«
»Nach Hause?«, wiederholte Eleonora verständnislos. »Ich habe kein eigenes Zuhause. Und wenn, dann ist es hier.«
Alexander packte sie an beiden Oberarmen und schüttelte sie. »Das hier ist nicht dein Zuhause«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
»Herr Graf von Prewitz, ich muss doch sehr bitten, wo bleibt denn hier die Contenance?«, war jetzt die Stimme von Hedebrink aus dem Hintergrund zu vernehmen.
Ertappt ließ Alexander von Eleonora ab. Er riss seinen Zweispitz vom Kopf und machte eine Verneigung. »Bitte verzeihen Sie, Herr Doktor, aber ich ließ mich in der Tat von meiner Erregung hinreißen«, entschuldigte er sich höflich.
Hedebrink machte eine einladende Handbewegung. »Wollen Sie nicht hereinkommen?«, forderte er ihn freundlich auf. »Christine macht uns eine Tasse Tee, und wir unterhalten uns ein bisschen. Ich bin immer neugierig, was sich da draußen in der großen weiten Welt tut, und einen echten General hatte ich noch nie bei mir zu Gast.«
Alexander war entwaffnet. Innerhalb von Sekunden war seine Wut erloschen. Willig folgte er dem blinden Anwalt in dessen bescheidenes Wohnzimmer, rückte diesem zuvorkommend seinen Lehnsessel zurecht und nahm ihm gegenüber auf einem Stuhl Platz. Amüsiert beobachtete Eleonora, welche Mühe er hatte, seine langen Beine unterzubringen. Graf Alexander von Prewitz war für dergleichen Räumlichkeiten einfach nicht geschaffen. Neben dem zierlichen Anwalt kam er ihr geradezu wie ein Riese vor.
»Wollen Sie mir meine Christine ein weiteres Mal entführen?«, ging Hedebrink sofort in die Offensive.
Eleonora huschte in die Küche. Das Weitere sollten die beiden Herren unter sich ausmachen. Aber wie würde sie sich entscheiden? In dem Moment, als sie den Wasserkessel für den Tee aufsetzte, wusste sie es noch nicht. Aber als sie Alexander die erste Tasse Tee einschenkte, er sie dabei beobachtete, dann die Hand auf ihren Unterarm legte und bittend zu ihr aufschaute, war es schon wieder um sie geschehen.
»Danke«, sagte Alexander leise. Bitte, flehten seine Augen.
Eleonora holte tief Luft und schluckte. Hedebrink, der hoch aufgerichtet das winzige Intermezzo belauscht hatte, lehnte sich resigniert in seinem Lehnsessel zurück.
»Gehen Sie, Christine, und kommen Sie niemals wieder zurück, Eleonora!« Er klang traurig und wütend zugleich. »Wäre ich ein gesunder Mann, würde ich Sie zum Duell herausfordern, sollten Sie sie jemals unglücklich machen. Aber ich bin ja gar nicht satisfaktionsfähig. So oder so nicht.«
Eleonora hielt die Luft an. So eine gewagte Drohung gegenüber dem Grafen von Prewitz, wenn nicht gar unverzeihliche Anmaßung. Jedoch drohte Hedebrink die Stimme wegzubrechen.
»Für mich wären Sie satisfaktionsfähig«, entgegnete Alexander ruhig. »So oder so. Aber Sie würden auch niemals Grund haben, mich zum Duell zu fordern.«
Eleonora bemerkte, wie sich Hedebrinks Züge zu einem strahlenden Lächeln erhellten. Auch ihr war auf einmal unglaublich leicht ums Herz. War das nicht ein Versprechen, das Alexander soeben gegeben hatte?
Vergessen waren in diesem Moment all die Vorbehalte und Zweifel, die Eleonora seit Monaten gequält hatten. Strikt weigerte sie sich jedoch, in das Prewitzsche Stadtpalais zurückzukehren.
»Es ist mir zu groß, es ist mir zu kalt, es ist mir zu tot, ich fühle mich dort einfach nicht mehr wohl«, wehrte sie sich mit Vehemenz gegen diesen Vorschlag.
»Aber was sollen wir denn dann machen?«, rief Alexander in gespielter Verzweiflung. »Du kennst doch meine Räumlichkeiten noch überhaupt nicht. Du hast diesen Seitentrakt nach seiner Renovierung noch nie betreten.«
»Das will ich auch gar nicht, auch da wäre ich nur ein Gast auf Zeit«, lehnte sie ab.
»Aber ein sehr willkommener Gast«, schmeichelte Alexander.
»Ich will auch kein willkommener Gast sein, ich will gar kein Gast mehr sein«, brach es aus Eleonora heraus. »Ich will endlich ein eigenes Heim haben, wissen, wohin ich gehöre, nicht immer nur vorübergehend eine Bleibe haben.«
»Aber die Jahre bei uns im Hause waren doch keine vorübergehende Bleibe?«
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