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Flamme der Freiheit

Flamme der Freiheit

Titel: Flamme der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgid Hanke
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bestanden zum größten Teil aus ehemaligen Soldaten. Diese Kriegsveteranen, kaum selbst des Schreibens und Lesens richtig kundig, waren mehr darauf bedacht, ihre Schüler zu drillen, als ihnen Wissen zu vermitteln. Manchmal schien es, als wollten sie sich für all die Demütigungen und die Schmach, die sie während ihrer Dienstzeit erlitten hatten, an ihren Schützlingen rächen. Am berüchtigtsten war der einbeinige Otto, dem es ein sadistisches Vergnügen bereitete, die demütigende Zeremonie des Spießrutenlaufs mit seinen Schülern nachzuexerzieren. Sie hassten ihn dafür aus tiefstem Herzen.
    Bei den drakonischen Strafen kamen die Mädchen kaum glimpflicher weg als die Jungen. So machte auch die kleine Eleonora einige Male Bekanntschaft mit dem gefürchteten Rohrstock. Einziges Zugeständnis war, dass die Schülerinnen nicht ihr Hinterteil entblößen mussten. Sehr schnell schaute sich Eleonora den Trick ihrer älteren Mitschülerinnen ab und polsterte sich unter dem knöchellangen Rock vorsorglich schon immer mit einem kleinen Kissen aus.
    Aber wie hatte sie mit ihrem Bruder Johannes gelitten, als dieser tagelang nicht hatte sitzen können. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte er seinem Peiniger Rache geschworen, und seine jüngere Schwester hatte ihm aus tiefstem Herzen zugestimmt.
    Einzige Abwechslung von der schulischen Pein boten die Stunden der religiösen Unterweisung bei Pfarrer Ackermann, die einmal wöchentlich in der Sakristei der in unmittelbarer Nähe gelegenen Nikolaikirche stattfand.
    Anschließend mussten die Jungen auf dem Kirchhof oder im Garten des Pfarrers arbeiten, während die Mädchen von Madame Blanche in Handarbeiten unterwiesen wurden. Madame Blanche hielt sich sehr viel ob ihrer hugenottischen Herkunft zugute und lehrte die Mädchen nicht nur die Kunst der Petit-Point-Stickerei, sondern weihte sie auch in die Anfangsgründe der französischen Sprache ein. So brachte sie ihnen unter anderem einige französische Kinderlieder bei. Acht Jahre war Eleonora, als erstmals ihr glockenklarer Sopran erklang. Madame Blanche war so begeistert, dass sie nicht umhinkam, der befreundeten Pfarrersfrau Mitteilung zu machen. Die stahl sich eines Nachmittags in den Handarbeitsunterricht, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen, und schickte ihrerseits sofort nach ihrem Gatten, damit er sich den von Madame Blanche eingeübten Kanon der kleinen Waisenmädchen anhörte.
    Der Pfarrer setzte sich mit dem Kantor in Verbindung, damit Eleonora ihm vorsänge. In Sekundenschnelle konnte sie ihn von ihrer außerordentlichen Begabung überzeugen. »Sie muss unbedingt regelmäßig geschult werden«, sagte Kantor Braun. Spontan bot er an, das arme Waisenkind sogar umsonst zu unterrichten. Innerhalb kurzer Zeit gelang es ihm, Eleonora mit seiner Musikbegeisterung anzustecken und mit seinem Enthusiasmus mitzureißen.
    Nachdem sie ihre Scheu gegenüber dem jungen Musikus verloren hatte, freute sie sich sogar auf ihre Gesangstunden, die zweimal in der Woche stattfanden. Das war doch tausendmal schöner als die stupide Stickerei bei Madame Blanche oder gar das Fußbodenschrubben im Waisenhaus.
    Dessen Leitung, insbesondere die Oberin, sah es gar nicht gerne, dass Eleonora eine Sonderrolle zukam. Aber nachdem sich Pfarrer und Kantor für sie starkgemacht hatten, blieb Schwester Sybilla nichts anderes übrig, als sich deren Verdikt zu fügen.
    »Wie soll das Kind jemals wieder zurück in seine ihm gebührende Stellung finden, wenn es zuvor bereits vor Fürsten, Grafen und sogar dem König gesungen hat«, murmelte die Oberin nur noch missmutig vor sich hin. Sie wagte jedoch keine Widerrede mehr.
    »Großvater, Großvater, bist du zu Hause?«, riss eine helle Stimme Prohaska aus seinen Erinnerungen. Er zuckte zusammen und fuhr sich mit der Rechten über die Stirn.
    »Ja, ich bin da, mein Kind, ich mache dir gerade einen frischen Kräutertee«, rief er in Richtung von Riekes Zimmer und nahm den pfeifenden Wasserkessel vom Küchenherd. In der Frühe hatte er ihn wie üblich entfacht. Er war mit der Wohnstube verbunden, wo er den dort stehenden kleinen Kachelofen mit beheizte. Wenn auch draußen die Märzsonne mit all ihrer Kraft schien, war es noch nicht an der Zeit, auf die heimelige Wärme des häuslichen Herds zu verzichten.
    Prohaska goss das kochende Wasser in die alte, abgesplitterte Emaillekanne, in die er zuvor getrocknete Kräuter geworfen hatte. Marie hatte ihm noch am Vorabend ein wohlriechendes Bündel

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