Flamme der Freiheit
sehr wertvoll, aber sie hat auch etwas mit deiner Mutter zu tun. Diese Vase hat mir Gräfin Dorothea zur Erinnerung an den ersten großen Auftritt deiner Mutter geschenkt.«
Prohaska zog einen Schemel heran und setzte sich neben das Bett seiner Enkelin.
»Meine Mutter war eine Sängerin?«, staunte Rieke. »Und wer war Gräfin Dorothea?«
»Das sollst du jetzt endlich erfahren, mein Kind«, versprach Prohaska.
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Teil I
1
S chon beim Erwachen war Eleonora an diesem Morgen von einem Gefühl prickelnder Erwartung erfüllt. Aber es dauerte ein Weilchen, ehe ihr wieder einfiel, warum sie so aufgeregt war.
Nach wochenlangen Proben sollte heute Abend endlich die Aufführung von
Orpheus und Eurydike
stattfinden. Auf der eigens für diesen Abend errichteten kleinen Freilichtbühne mitten im Park von Neu-Prewitz. Dass man ausgerechnet ihr die Hauptrolle in Christoph Willibald Glucks
Orpheus und Eurydike
anvertraute! Eleonora konnte es bis heute noch nicht so ganz begreifen. Welch eine Ehre, aber auch was für eine Herausforderung! Eine große Bewährungsprobe für die blutjunge Sängerin. Natürlich hatte sie diese Besetzung auch der Protektion ihrer Gönnerin Gräfin Dorothea zu verdanken.
»Aber nicht ausschließlich, nicht ausschließlich, mein Kind«, betonte diese ihr gegenüber stets. »Glaubst du wirklich, der Maestro hätte sich darauf eingelassen, wenn er nicht von deiner Stimme überzeugt wäre. So, wie wir alle von deiner Stimme und deiner Begabung überzeugt sind.«
Eleonora wusste, dass ihrer Musikalität und außergewöhnlichen Stimme vieles, wenn nicht alles zu verdanken war. So auch das Solo der Kantate, das sie damals in der Nikolaikirche zu Potsdam gesungen hatte. Hingerissen von der Interpretation einer zwölfjährigen Sängerin, bestand Gräfin Dorothea darauf, die kleine Solistin persönlich kennenzulernen. Nur sehr unwillig hatte der Vater seine Eleonora zum Palais Prewitz begleitet, wohin sie die Gräfin eingeladen hatte, besser gesagt, dem Veteranen des Koalitionskrieges und seiner Tochter eine Audienz gewährte. Noch unwilliger hatte der Vater auf den Vorschlag reagiert, dieser Dame des preußischen Hochadels seine Tochter zur Erziehung zu überlassen.
»Bedenken Sie, welche Entfaltungsmöglichkeiten sie bei Ihnen hat und was ich ihr für eine Zukunft bieten könnte«, hatte ihn die Gräfin zu überzeugen versucht. »Wir beide wissen, dass Ihre Tochter über eine außergewöhnliche Begabung verfügt, mit der sie den jetzigen Primadonnen eines Tages den Rang streitig machen könnte. Unter der Voraussetzung, dass Eleonora fortan entsprechend geschult wird. Sie hingegen können sich doch noch nicht einmal einen vernünftigen Gesangslehrer für sie leisten. Sie wissen doch selbst, dass Sie Ihr eigenes Pulver längst verschossen haben.«
Harsche Worte.
Gräfin Dorothea von Prewitz zu Kirchhagen war schon mehr berüchtigt als berühmt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Bei Hofe hatte es ihr schon häufig Ärger eingetragen. Aber darum scherte sie sich nicht. Ihr lag sowieso nichts an dieser verlogenen Gesellschaft. Nur zu den offiziellen Terminen, bei denen ihre Anwesenheit als Angehörige des hohen Adels obligatorisch war, konnte man sie in großer Robe im Berliner Stadtschloss zwischen den Reihen der alten preußischen Familien entdecken. Auch das Prewitzsche Palais in der preußischen Hauptstadt gehörte nicht zu ihren bevorzugten Aufenthaltsorten. Am liebsten residierte Gräfin Dorothea auf dem Sophienhof in Neu-Prewitz, einem Landsitz der Familie, südlich von Potsdam an einem der Havelseen gelegen.
Das kleine Barockschloss war schon vom Verfall bedroht, als Friedrich der Große es ihrem Vater für seine Verdienste im Schlesischen Krieg als Geschenk überließ. Der kümmerte sich jedoch niemals darum, da er als alter Haudegen lieber in die nächste Schlacht zog. Seine Tochter hingegen bewahrte das Anwesen vor dem endgültigen Verfall. Sie betraute den genialen jungen Architekten Friedrich Gilly mit der Rettung dieses architektonischen Kleinods. Sie überließ ihm auch die Inneneinrichtung des Schlösschens und die Gestaltung der kleinen Freilichtbühne im Park, der nach englischem Vorbild angelegt war. Einer der ersten Landschaftsparks überhaupt im ganzen Königreich Preußen.
Mittlerweile hatte sich der Sophienhof zu einem Anziehungspunkt ganz eigener Art entwickelt. Besonders im Sommer logierte man sich gerne für ein paar Tage im Schloss ein, um den Charme des ruhigen
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