Flamme von Jamaika
sie, «du bist ja zu einer außerordentlich schönen Blume erblüht! Ich denke, du solltest dich nun in den Versammlungsraum für die jungen Damen begeben. In wenigen Augenblicken geht es mit dem Vorstellungsritual los.»
Dann hakte sie sich bei Lenas Vater unter und geleitete ihn an seinen Tisch.
Für einen Moment fühlte sich Lena angesichts all der Menschen regelrecht orientierungslos, und das, obwohl sie sich mit den anderen Debütantinnen an diesem Ort vor ein paar Tagen zur Generalprobe eingefunden hatte. Die Männer würden heute Abend zum ersten Mal den Saal betreten – es sei denn, sie hatten bereits zuvor an Vergnügungsabenden der Prinzessin teilgenommen.
Lenas Miene hellte sich auf, als sie ihre Vertraute, Rosanna Rhys-Patrick, in der Menge entdeckte, die nicht weniger aufgeregt zu sein schien.
«Du siehst umwerfend aus», flötete Rosanna und hakte sich bei ihr unter.
«Das Kompliment kann ich ohne Neid an dich zurückgeben», erwiderte Lena, die das dicke, kastanienfarbene Haar ihrer ehemaligen Internatsgefährtin aufs Neue bewunderte. Die champagnerfarbenen Seidenblüten, mit denen es über den Ohren zu dicken Schnecken aufgesteckt worden war, passten wunderbar zu ihrem Kleid und ihrer hellen Haut. Ihre dunklen Augen schienen dadurch noch mehr zu strahlen. Lena war auch nicht entgangen, dass ihre Freundin ein umwerfend schönes Collier aus cognacfarbenen Diamanten trug, dessen pompöser Anhänger direkt zwischen ihren üppigen Brüsten baumelte.
Im wesentlich kleineren Versammlungsraum der Debütantinnen ging es zu wie in einem Gänsepferch. Etwa einhundert Mädchen warteten dort auf ihren großen Auftritt, und ihre Nervosität schlug sich in der unglaublichen Lautstärke ihres Geschnatters nieder. Jedes neu eintretende Mädchen wurde mit frenetischem Beifall begrüßt, woraufhin die zuständigen Damen des Organisationskomitees mit energischer Stimme und ein paar strengen Gesten immer wieder für Ordnung sorgen mussten.
«Hoffentlich hat mein Tanzpartner keine roten Haare», seufzte Rosanna und spielte auf Ronald MacDonald Egerton an. Der junge schottische Adlige hatte sich für den heutigen Abend um ihre Begleitung beworben. Sein Onkel war der berüchtigte Earl of Sutherland, dessen unermessliches Vermögen – ähnlich wie bei den Blakes – nicht nur in Schottland, sondern auch in Übersee zu finden war.
Als endlich um Aufstellung gebeten wurde und draußen in der Halle die Musik zu einem enthusiastischen Walzer anhob, schlug Lenas Herz so stark, dass sie glaubte, es würde zerspringen. Sie war nur froh, dass sie nicht die Einzige war, deren Gesicht vor Aufregung glühte. Vielleicht mochte das aber auch an dem Glas Champagner liegen, das man ihnen zur Auflockerung kredenzt hatte.
In Zweierreihen schritten die Mädchen Händchen haltend mit ihrer jeweiligen Partnerin zum Rhythmus der Musik in den großen Ballsaal, wo bis auf die männlichen Tanzpartner alle Anwesenden an großen Tafeln saßen. In der Mitte des Raums hatte man für ausreichend Platz gesorgt, damit die tanzenden Paare nicht zusammenstießen oder die ausladenden Roben der Damen sich an Tischen und Stühlen verfingen.
Als sich nun auch das Corps der Herren näherte, drückte Lena die Hand ihrer Freundin so fest, dass Rosanna nach Luft schnappte. Alles war derart perfekt inszeniert, dass sich die jeweiligen Auserwählten beim letzten Takt der Musik – wenn auch auf Abstand – Auge in Auge gegenüberstanden. Dann erhob sich der ganze Saal, um dem Einmarsch der königlichen Gesandten, Prinzessin Maria, und ihrem Gefolge zu huldigen. Die Prinzessin vertrat offiziell ihren Bruder, König Wilhelm IV ., der zu politischen Gesprächen im Ausland weilte. Während die königliche Abordnung ihre Plätze auf einer kleinen, improvisierten Bühne einnahm, blieb den Mädchen genügend Zeit, um einen raschen Blick auf ihr noch unbekanntes Gegenüber zu werfen.
«Oh, er hat tatsächlich rote Haare!», flüsterte Rosanna beinahe entsetzt. Und wirklich, ihr Tanzpartner mit dem dunkelblauen Frack und der weißen, eng anliegenden Hose, besaß einen feuerroten Schopf, der seine vornehme Blässe in einem hübschen Schweinchenrosa erscheinen ließ.
«Bei Saint Patrick!», entfuhr es Rosanna beim Anblick von Lenas Tanzpartner. «Du scheinst wesentlich mehr Glück zu haben als ich.» Langsam, ganz langsam blickte Lena in stummer Erwartung nach links. Und dann sah sie ihn: Sir Edward Blake. Er war ein Bild von einem Mann. Seine Augen schienen so
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