Flammen des Himmels
gleichgestellt und mussten schuften.
»Ihr schafft euch Lohn für das himmlische Jerusalem!«, rief Jan Matthys, um sie weiter anzufeuern. »Jeder Stein, jede Schippe Erde, die ihr hier aufhäuft, wird der Heiland euch vergelten! Ich weiß es, denn ich habe es gesehen. Ich bin der Prophet der letzten Tage, so wie der Evangelist Johannes es vorhergesagt hat. Ich bin Henoch, der euch in die ewige Seligkeit führen wird, während all unsere Feinde dem Verderben anheimgegeben werden.«
Für die meisten am Wall waren seine Worte tatsächlich ein Ansporn, sich noch mehr anzustrengen. Selbst Mieke Klüdemann strebte schneller zu dem Platz, an dem die Steine und der Schutt der zerstörten Kirchen mit Schubkarren hingeschafft worden waren, um als Baumaterial zu dienen.
Frauke sah Lothar an. »Warum weiß er erst jetzt, dass er der vorhergesagte Prophet Henoch ist? Bisher war davon nicht die Rede gewesen.«
»Sei still! Solche Worte dürfen nicht an andere Ohren dringen«, warnte Lothar sie. »Es gibt hier zu viele, die selbst die eigene Familie verraten würden, um sich bei dem Propheten einzuschmeicheln.«
»Ich wollte, es wäre schon vorbei.« Frauke seufzte, legte ihren Stein an der Stelle ab, die ihr der Vorarbeiter wies, und stieg dann wieder hinab, um den nächsten zu holen. Ihre Schwester und ihr Bruder hatten gemeinsam Erde in eine Decke gefüllt und schleiften diese nun hinter sich her nach oben.
Lothar kämpfte unterdessen mit anderen Problemen, denn seine Blase meldete sich, und er hätte sich erleichtern müssen. Bislang hatte er stets darauf geachtet, dass niemand ihn sehen konnte, wenn er den Abtritt benützte oder Wasser ließ. Doch hier war dies unmöglich. Niemand hätte verstanden, weshalb er dafür bis nach Hause laufen musste. Die Frauen verschwanden nur kurz um die Ecke und rafften dort ihre Röcke.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als hinter zweien von ihnen herzugehen und ihrem Beispiel zu folgen. Eines der beiden Weiber entblößte dabei ihr ganzes Gesäß, aber das konnte er sich nicht leisten. Daher hob er seinen Rock nur ein wenig und war froh, als die Frauen wieder zum Wall zurückeilten und er sein Geschäft ungestört zu Ende bringen konnte.
Während Matthys und Knipperdolling den Leuten beim Arbeiten zusahen, unterhielten sie sich leise. Mittlerweile hatte sich auch Bockelson zu ihnen gesellt. Dieser ergriff das Wort, als Arno das Zeichen zu einer Pause gab.
»Alle Männer, die Ende Februar, als wir die Söhne Kains aus der Stadt getrieben haben, die Taufe annahmen, haben sich umgehend in Sankt Lamberti zu versammeln, und zwar ohne Waffen und nur mit ihrem Hemd bekleidet! Sollte einer es wagen, nicht zu erscheinen, wird er aus der Liste der Seligen gestrichen und mit dem Schwert gerichtet.«
»Gilt das auch für mich?«, fragte Helm bang. Er hatte sich mittlerweile zwar erholt, erlebte in Träumen jedoch immer noch die Augenblicke, in denen Faustus und Isidor ihn missbraucht und wie Abfall auf einen Schutthaufen geworfen hatten.
»Ich würde mitgehen«, riet Frauke ihm. »Rothmann und seine Prädikanten haben jeden aufgeschrieben, der sich damals hat taufen lassen. Wenn du jetzt wegbleibst, traue ich denen zu, dass sie dir einen Strick daraus drehen.«
»Aber ich bin doch keiner von denen, die die Taufe unter Zwang angenommen haben! Ich hätte längst getauft werden sollen«, ereiferte sich der Junge.
»Das wird dir hier nichts helfen.« Frauke schob Helm in die Richtung, in der sich bereits etliche Neugetaufte versammelten. Die Gesichter der Männer waren bleich, und in ihren Augen flackerte die Angst, den neuen Machthabern missfallen zu haben.
»Vorwärts, los! Nicht so langsam!«, brüllte Arno, der die Söldner anführte.
Während die Männer zur Lambertikirche getrieben wurden, wollten die anderen nach Hause gehen. Da hallte Knipperdollings Stimme scharf und laut über den Wall.
»Alle kommen mit! Die Weiber, die als Letzte getauft wurden, als Erste.«
»Das gilt auch für mich.« Frauke drückte kurz Silkes Hand und ging los.
Mit einem mulmigen Gefühl folgte die Schwester ihr, während Lothar sich beeilte, um an ihre Seite zu kommen.
»Was werden sie mit Helm und Frauke tun?«, fragte ihn Silke.
»Das werden wir gleich erleben.«
Lothar kämpfte gegen die Wut an, die in ihm aufsteigen wollte, doch er wusste zu gut, dass er nichts ausrichten konnte. Sollte aber Frauke etwas geschehen, würden ihm Matthys, Bockelson und Knipperdolling dafür bezahlen.
12.
A uch von
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