Flammen des Himmels
dieser jetzt die Frage: »Gibt es schlimme Neuigkeiten?«
Haberkamp nickte. »Die gibt es, und zwar reichlich. Wenn du hinausgehst, sag einem Knecht, er soll ein Ross für mich satteln. Ich muss sofort nach Telgte reiten.«
»Heute noch? Ihr werdet aber nicht vor der Nacht dort ankommen«, wandte Moritz ein.
»Das weiß ich! Doch es ist zu dringend, um warten zu können. Kannst du reiten?«
Moritz nickte grinsend. »Klar! Immerhin habe ich schon den Reichsgrafen und auch dessen Gemahlin auf Reisen eskortiert.« Damit verabschiedete er sich von Haberkamp und verließ das Haus. Draußen wies er den ersten Knecht, der ihm über den Weg lief, an, zwei Pferde zu satteln.
11.
D ie Arbeit war hart, und die Kälte biss in die Finger, bis diese nicht mehr zu spüren waren. Gleichzeitig lief der Schweiß den Rücken hinab und tränkte die Kleidung. Ein scharfer Wind, der bis auf die Haut durchdrang, quälte die Menschen zusätzlich. Frauke fühlte sich elend, und sie wusste, dass es den anderen nicht besser erging. Neben ihr schleppte Silke eine Last Erde auf den Wall, während Lothar eben mit einem leeren Korb von oben herabkam.
»Wie geht es dir?«, fragte er besorgt.
Frauke lächelte trotz der widrigen Umstände. »Ich schaffe das schon.«
Da begann in ihrer Nähe Mieke Klüdemann, die mit ihrem Ehemann zusammen den Torso einer zerschlagenen Heiligenfigur nach oben schleppte, schrill zu zetern. »Diese verdammten Holländer führen sich auf wie die Herren der Stadt und lassen uns diese dreckige Sklavenarbeit tun! Sieht so das himmlische Jerusalem aus, das sie uns versprochen haben?«
»Plärr nicht, sondern arbeite!«, wies Arno sie zurecht, der als Vorarbeiter eingesetzt worden war. »Und wenn, dann beschwere dich bei denen dort draußen. Wir müssen die Stadt gegen einen Angriff wappnen! Oder glaubst du, dieser Heidenbischof Waldeck wartet bis zum Ostertag? Er wird eher seinen letzten Mann verlieren wollen, als das Erscheinen des Heilands zuzulassen. Wenn er die Stadt vorher einnehmen kann, wird es nämlich nicht dazu kommen.«
So hatten es Bernhard Rothmann und die anderen Prediger verkündet und damit die Bereitschaft ihrer Anhänger zur Arbeit gestärkt. Trotzdem fand nicht nur Frauke, dass das Warten auf das himmlische Jerusalem sich ganz anders gestaltete, als sie und vor allem ihre Familie es sich vorgestellt hatten. Ihr Vater und Helm mussten ebenfalls mithelfen, die Verteidigungsanlagen zu verstärken, während Katrijn das Kommando in der großen Küche innehatte, in der für die Menschen in diesem Abschnitt gekocht wurde. Auch Fraukes Mutter hätte mit anpacken sollen, hatte aber nur wirres Zeug geredet und alles falsch gemacht. Da sie schwanger war, hatte Arno sie schließlich nach Hause geschickt. Frauke dankte dem Söldner insgeheim dafür, denn Knipperdolling oder einem der anderen Täuferführer traute sie zu, die Mutter kurzerhand davonzujagen. Jetzt aber dachte sie an den Ausspruch, den sie eben gehört hatte, und wandte sich Lothar zu.
»Frau Klüdemann hat schon recht! Die Holländer kommandieren, und wenn sie dann wirklich etwas tun, suchen sie sich die leichtesten Arbeiten aus.«
»Nicht alle«, antwortete Lothar und wies auf eine Gruppe, die zwar ebenfalls aus den Niederlanden stammte, aber genauso hart arbeiten musste wie sie selbst. »Außerdem sind es nicht nur die Holländer, die in der Stadt das große Wort schwingen. Das tun auch einheimische Bürger. Oder hast du Bernhard Rothmann, Krechting, Tilbeck, Kerkerinck und vor allem Bernd Knipperdolling vergessen?«
»Wie könnte ich das!« Frauke schauderte, denn am Vortag hatte Knipperdolling einen Mann, der sich gegen die harte Arbeit aufgelehnt hatte, ohne Vorwarnung mit einem Schwertstreich niedergestreckt.
Es war, als hätten ihre Überlegungen den Mann herbeigerufen, denn Knipperdolling erschien zusammen mit Matthys am Nachbarabschnitt, um zu überprüfen, wie weit die Arbeit an den Verteidigungswällen gediehen war.
»Gott ist mit uns, und er wird eure Arme stärken!«, rief der Prophet den Schuftenden zu.
»Dann soll er bald damit anfangen, denn meine Arme sind bereits lahm«, fauchte Mieke Klüdemann giftig.
Trotz ihrer Erschöpfung musste Frauke lächeln. Sie gönnte es dieser Frau, ebenso mit anpacken zu müssen wie sie selbst. In Geseke und auch in der ersten Zeit hier in Münster hatte Mieke Klüdemann sie und ihre Schwester wie Leibeigene behandelt. Doch nun waren alle bis auf Jan Matthys und dessen engste Vertraute
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