Flammen des Himmels
Versorgungslage der Stadt. Bei solch karger Kost konnten die Männer und Frauen nicht so arbeiten, wie es eigentlich notwendig war. Daher hielt Lothar es für noch dringlicher, dass es einigen Leuten gelang, den Belagerern eines der Tore zu öffnen.
Mit diesem Gedanken beendete er seine Arbeit und machte sich zusammen mit den Frauen auf den Heimweg. Früher hatten sie sich immer noch ein wenig unterhalten und gemeinsam gebetet, doch nun blieben sie stumm. Lothar ärgerte sich darüber, denn bei diesen Gesprächen hatte er erfahren, was sich in der Stadt tat. Nun musste er Fragen stellen, und das war bei den falschen Personen gefährlich.
Kurz bevor er seine Hütte erreichte, überlegte er, wie lange es dauern würde, bis Gresbeck, Arno, Helm und Faustus zusammen auf Wache geschickt wurden. Wenn Gott gnädig war, konnte dies bald geschehen. Doch sollte der Teufel seine Hand im Spiel haben, würde es vielleicht nie dazu kommen. Von diesem Gedanken gequält, trat er ein und sah sich Silke gegenüber, über deren Wangen Tränen in breiten Bächen rannen.
»Was ist los?«, fragte er erschrocken.
»Unsere Mutter ist in der Nacht gestorben!«, sagte die junge Frau leise.
»Bei Gott! Wo ist Frauke?«
»Sie ist bei Mutter. Geh zu ihr, denn sie wird dich sehen wollen!« Silke nahm Lothar bei der Hand und führte ihn in den Anbau.
Dort kniete Frauke neben dem Bett, auf dem ihre Mutter aufgebahrt lag, und betete. Ihre blassen Lippen zuckten schmerzvoll. Auch wenn die Mutter sie nicht so geliebt hatte wie ihre Geschwister, so kämpfte sie doch mit dem Gefühl eines unerträglichen Verlusts.
Als sie Lothar bemerkte, stand sie müde auf und umarmte ihn weinend. »Warum musste sie schweigen? Wir hätten ihr doch helfen können!«
»Sie wollte schon seit langer Zeit sterben, hat es aber nicht gewagt, Hand an sich selbst zu legen.« Lothar blickte auf die tote Frau, die nun, da sie gewaschen worden war und ein gutes Kleid trug, wieder die Spuren einstiger Schönheit aufwies, die sie an ihre Töchter vererbt hatte. Neben ihr lag, in schlichtes Linnen eingeschlagen, das tote Kind.
»Eine Geburt ist doch schmerzvoll! Normalerweise hätte sie schreien müssen.« Auch Silke verstand nicht, was die Mutter getrieben hatte, trotz aller Wehen die Zähne zusammenzubeißen und zu schweigen.
Frauke ließ Lothar los und schüttelte den Kopf. »Sie ist verblutet, weil sie sich nicht helfen lassen wollte.«
»Wahrscheinlich hat sie gar nicht gemerkt, dass sie stirbt, und wenn doch, so hat sie den Tod als Erlöser empfunden, der sie von ihrem geschundenen Leib befreit«, erklärte Silke. »Sie wollte in den Himmel, um gemeinsam mit ihrem Kind an der Hand unseres Herrn Jesus Christus herabzusteigen, so wie viele der Unseren mit ihm herabsteigen werden.«
Im Gegensatz zu ihrer Schwester glaubte Silke immer noch an diese Prophezeiungen, denn es war der einzige Trost, der ihr blieb. Um gemeinsam mit den Geschwistern trauern zu können, beschloss sie, diese Nacht in der Hütte zu bleiben.
Frauke hatte eine der alten Frauen, die nicht mehr bei der Ausbesserung der Mauern und Wälle mithelfen konnten, losgeschickt, um Helm und Faustus zu holen. Die beiden erschienen jedoch erst, als die Nacht bereits hereingebrochen war.
»Unser Hauptmann hat uns nicht gehen lassen«, berichtete Helm. »Er sagte, wenn wir die Stadt verteidigen müssen, darf uns weder der Tod von Mutter und Weib noch von Vater und Bruder daran hindern, unsere Pflicht zu tun.«
»Entweder hat er ein Herz aus Stein oder keinen Verstand«, rief Frauke empört. »Der Tod der Mutter muss jedem liebenden Menschen das Herz zerschneiden. Wahrscheinlich hat er selbst keine Mutter, sondern wurde in einem Erdloch gefunden.«
»Beruhige dich!«, bat Lothar sie und sagte sich seufzend, dass jetzt wohl nicht die richtige Zeit war, um Helm und Faustus von Gresbecks Plan zu berichten.
15.
I nken Hinrichs’ Tod erschien Lothar als schlechtes Omen, und alles drängte ihn, eine neue Botschaft an seinen Vater zu verfassen. Dennoch half er zuerst Frauke und ihren Geschwistern, so gut er es vermochte. Erst eine Weile, nachdem Inken Hinrichs in Gegenwart eines uninteressierten Prädikanten beerdigt worden war, welcher nur ein paar Wortfetzen als Totensegen murmelte, kam Lothar dazu, eine Nachricht zu verfassen und mitzuteilen, dass es in der Stadt immer noch Menschen gab, die bereit waren, sich gegen König Bockelson und dessen Leute zu stellen.
Zwei Tage später erschien ein Herold des
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