Flammen des Himmels
zu. »Warum reißt ihr uns noch vor Tau und Tag aus den Betten und treibt uns wie Schafe zusammen?«
Der König der Wiedertäufer hob beschwichtigend die Arme. »Gott befahl mir, alle Frauen und Kinder, die nicht für die Versorgung der Krieger gebraucht werden, aus der Stadt zu weisen, auf dass die Vorräte reichen, bis unsere Brüder aus Holland und Friesland mit einem kampfstarken Heer erscheinen und unsere Bedränger vertreiben!«
Bockelsons Stimme hatte noch immer jenen hypnotischen Klang, mit dem er die Menschen so lange hatte beherrschen können. Doch diesmal versagte die Wirkung. Eine der Frauen spie sogar in seine Richtung aus.
»Gott will es dir gesagt haben? Ich sage dir, wer es war: deine Angst, mit uns zusammen hungern zu müssen! Wärst du so gut Freund mit Gott, wie du immer tust, würde er uns alle mit himmlischem Manna speisen und den Feind durch einen Sturm oder einen Engel mit einem Flammenschwert vernichten. Ich sage dir, du bist ein falscher Prophet und hast uns ins Verderben geführt. Schande über dich und all jene, die sich wie Kletten an dich gehängt haben, um in deinem Hofstaat etwas zu gelten!«
Die Anklage traf. Bockelson zuckte wie unter einem Schlag zusammen, entriss dem nächststehenden Leibwächter das Schwert und stürmte auf die Frau zu. Diese lachte ihn auch noch aus, als er zuschlug. Erst nach dem dritten Hieb verstummte sie und stürzte entseelt zu Boden.
Da erst kam Bockelson wieder zur Besinnung. Angeekelt ließ er das Schwert fallen und wandte sich an die Menge. »Dieses Weib wird in der tiefsten Hölle schmoren, und ihr wird jeden Tag aufs Neue das Fleisch von den Knochen gekocht werden. Euch aber sage ich, dass der Herr mit uns ist, aber wegen der Sünden, die in dieser Stadt noch immer begangen werden, Opfer von uns fordert. Auch ich bleibe nicht davon verschont!« Dabei wies er auf eine Gruppe Frauen, die eben von Söldnern die Straße hochgeführt wurden.
»Da ist Silke!«, rief Frauke und wollte auf ihre Schwester zugehen.
Die Söldner stießen sie jedoch zurück. »Noch bist du nicht dran. Oder willst du freiwillig mit hinaus?«, fragte einer sie höhnisch.
Lothar trat auf Frauke zu, schlang den Arm um sie und zog sie zurück. »Wir können nichts tun«, raunte er ihr ins Ohr.
»Aber warum Silke? Warum gerade sie?«, flüsterte Frauke unter Tränen.
Diese Frage konnte Lothar ihr nicht beantworten. Silke wurde derweil zusammen mit anderen Frauen und etlichen Kindern unter Drohungen durch das Tor gescheucht und fand sich kurz darauf auf dem freien Feld zwischen der Stadtmauer und dem Belagerungsring wieder. Das ging nicht ohne Geschrei und Lamentieren ab, und so nützten einige Männer die Gelegenheit und mischten sich zwischen die Frauen, um aus der Stadt zu entkommen.
Faustus spürte sein Herz in der Brust wie einen Hammer schlagen. Seit dem Tod seines Freundes Isidor fühlte er sich in Münster wie eingesperrt, und er hatte keine Lust, seine heile Haut im Kampf mit den Truppen des Bischofs zu riskieren. Wie von einem unhörbaren Befehl getrieben, ging er immer näher auf die Frauen zu und passierte dann mit einem raschen Schritt das Tor.
»Was soll das?«, rief Helm hinter ihm her.
»Der gibt Fersengeld!«, warf einer der Söldner ein. »Ist nicht schade um ihn. Der Kerl hat ohnehin nichts getaugt.«
»Wir müssen von hier verschwinden, bevor irgendjemandem einfällt, dass du als Faustus’ Ehefrau giltst«, sagte Lothar leise zu Frauke.
Diese schwankte, ob sie nicht ebenfalls gehen sollte, um mit ihrer Schwester zusammen zu sein, aber dafür hätte sie Lothar und ihren Bruder verlassen müssen, und das wollte sie nicht. Innerlich entzweigerissen, kehrte sie in ihre Hütte zurück, setzte sich, von Kummer und Verzweiflung überwältigt, auf einen Stuhl und barg das Gesicht in den Händen. Tränen quollen ihr zwischen den Fingern hindurch, und ihr Schluchzen drang bis auf die Gasse. Nach ihrem ältesten Bruder und der Mutter hatte sie eben auch ihre Schwester verloren.
16.
D er Fürstbischof und seine Truppen wurden von den aus der belagerten Stadt strömenden Frauen und Kindern vollkommen überrascht. Während Franz von Waldeck wie erstarrt auf die Vertriebenen blickte, trat Jacobus von Gerwardsborn auf einen Trupp Soldaten zu.
»Seht ihr dort die Ketzer und Teufelsmägde? Lasst keinen am Leben! Jeder Ketzer und jede Ketzerin, die ihr tötet, ist für euch eine Stufe höher ins Himmelreich.«
Einige der Soldaten setzten sich in Bewegung. Auch Hans
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