Flammen des Himmels
nennen mich die Leute. Getauft wurde ich auf den christlichen Namen Andreas«, antwortete der Wächter und fragte dann, was der junge Herr hier wolle.
»Es geht um die Tochter des Gürtelschneiders. Ein hübsches Ding, das sagst du doch auch. Kannst du mir sagen, wo sie wohnt? Ich würde sie gerne aufsuchen.« Lothar rettete sich in ein gekünsteltes Lachen, das Draas sauer aufstieß.
»Wenn Ihr glaubt, Jungfer Silke würde sich für eine Liebschaft mit einem Burschen hergeben, der noch nicht einmal trocken hinter den Ohren ist, dann habt Ihr Euch gewaltig geschnitten. Sie ist ein ehrbares Mädchen.«
Lothar spürte die Eifersucht des anderen und zwang sich erneut zu einem Lachen. »Mir geht es nicht um Silke Hinrichs, sondern um ihre Schwester. Frauke heißt sie wohl, oder?«
»Die ist auch ein ehrbares Mädchen«, antwortete Draas unversöhnt.
Lothar begriff, dass er auf diese Weise nicht weiterkam, und setzte alles auf eine Karte.
»Es ist nicht so, wie du denkst. Ich wollte sie warnen. Der Inquisitor will heute die ersten Ketzer verhaften lassen, und ich befürchte, Frauke Hinrichs und ihre Familie gehören dazu.«
Mit diesen Worten begab Lothar sich voll und ganz in die Hände des Wächters. Wenn dieser ihn an das Gefolge des Inquisitors verriet, würde es ihm übel ergehen.
Draas’ Gedanken gingen jedoch ganz andere Wege. »Darum hat der Alte heute Fersengeld gegeben und sich mit seinem Jüngsten in die Büsche geschlagen! Er hätte die ganze Familie mitnehmen sollen. Wann, meinst du, wird Gerwardsborn seine Bluthunde losschicken?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Lothar besorgt. »So viel konnte ich nicht erlauschen.«
»Dann sollten wir nicht länger schwätzen, sondern handeln.« Draas wollte Lothar schon den Weg zu Hinrichs’ Haus weisen, sagte sich dann aber, dass der junge Bursche es in der Nacht vielleicht nicht finden würde, und zog ihn in die Wachstube.
»Du bleibst hier, während ich Hinrichs’ Familie warne. Sollte jemand nach mir fragen, so bin ich auf dem Abtritt, verstanden?«
Lothar nickte, ohne wirklich zu begreifen, was der Torwächter plante. Auch passte ihm nicht, dass Draas zu Hinrichs’ Haus gehen wollte, denn er hätte sich Fraukes Dank gerne selbst erworben. Er musste sich jedoch sagen, dass der Wächter schneller dort sein würde als er.
Daher nickte er. »Das mache ich. Aber du solltest dich beeilen.«
»Das kannst du laut sagen! Oder lieber nicht, denn sonst hört dich einer und schaut zum Fenster heraus. Wenn jemand sieht, dass ich meinen Posten verlasse, kriege ich fürchterlichen Ärger.«
Bei diesen Worten nahm Draas eine Laterne, entzündete deren Unschlittkerze an der Öllampe seiner Wachstube und ging los.
Schon von weitem sah er, dass sich Männer mit Fackeln vor dem schmalen Gebäude versammelt hatten. Draas erkannte Magister Rübsam, den Foltermeister Dionys sowie Bruder Cosmas und einen weiteren Mönch. Dazu kamen vier Waffenknechte aus der Begleitung des Inquisitors mit blanken Schwertern in der Hand.
Da er an der Vordertür nichts mehr ausrichten konnte, wollte Draas zum Hintereingang des Hauses laufen. Doch als er die Gasse erreichte, die dort vorbeiführte, entdeckte er auch dort Fackelträger und Waffenknechte mit gezückten Schwertern. Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Laterne zu löschen, damit er nicht bemerkt wurde, und zu beobachten, was weiter geschah.
15.
N iedergedrückt und in hoffnungslose Überlegungen verstrickt, kehrte Frauke nach Hause zurück. Sie kam nicht darüber hinweg, dass ihr Vater so rasch die Flucht ergriffen und dabei den größten Teil seiner Familie zurückgelassen hatte. Doch als sie mit ihrer Mutter darüber sprechen wollte, fuhr diese ihr über den Mund.
»Dein Vater hat vollkommen richtig gehandelt, indem er sich und Helm in Sicherheit gebracht hat. Morgen früh wird Haug ihm folgen, und am Nachmittag machen wir drei uns auf den Weg.«
»Wenn wir es dann noch können«, sagte Frauke leise. Ihre Angst wuchs, und sie spürte, dass es ihrem älteren Bruder ebenso erging. Ihre Mutter und ihre Schwester klammerten sich jedoch an die Hoffnung, dass alles gut werden würde.
»Wir sollten Stillenbeck noch heute Nacht verlassen! Draas lässt uns gewiss zum Tor hinaus«, schlug Frauke vor.
Ihr Bruder erhob sich halb, sah aber die Mutter fragend an. Da er bisher vom Vater in strenger Zucht gehalten worden war, wagte er nicht, von sich aus eine Entscheidung zu treffen.
Inken Hinrichs schüttelte den Kopf.
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