Flammen des Himmels
auch sie in der Hölle schmoren. In gewisser Weise tat es ihm leid, denn er mochte die meisten dieser Männer und hatte schon überlegt, ob er nicht versuchen sollte, sie vor der ewigen Verdammnis zu erretten. Doch die Angst, an den Falschen zu geraten und von diesem verraten zu werden, hatte ihn davon abgehalten.
Hinrichs wusste, dass er nicht zum Prediger berufen war, doch auch so drohten ihm Folter und Scheiterhaufen. Plötzlich erinnerte er sich an das, was der Stadtknecht Draas ihm berichtet hatte. Wenn dies stimmte und tatsächlich ein Täufer-Bruder gefangen genommen worden war, konnte es sich dabei nur um Berthold Mönninck handeln, der Helms Taufe hatte vollziehen wollen. Wenn dies der Mann unter der Folter verriet, war er selbst in höchster Gefahr.
Auf einmal schmeckte Hinrichs das Bier nicht mehr. Er schob den Krug zurück, stand auf und warf ein paar Münzen auf den Tisch. Als ihn die anderen verwundert ansahen, zog er eine missmutige Miene. »Ich habe ganz vergessen, dass ich noch zu dem ehrenwerten Herrn Sterken muss. Dessen letzte Lieferung Leder war zu schlecht, um Gürtel daraus zu fertigen.«
Es war keine gute Ausrede, denn Simonsen zeigte sofort auf die Wand, hinter der die Honoratioren von Stillenbeck zusammensaßen.
»Das kannst du Sterken auch gleich hier sagen. Ich habe ihn vorhin kommen sehen.«
»Jaja«, brummte Hinrichs und verließ das Gewölbe. Er wandte sich jedoch nicht dem Raum der Ratsherren zu, sondern ging zur Hintertür, öffnete diese und trat auf die Straße. Mittlerweile war es dunkel geworden, und er trug kein Licht bei sich. Kurz erwog er, in den Gasthof zurückzukehren und sich vom Wirt eine Laterne zu leihen, verwarf diesen Gedanken jedoch wieder und strebte hastig durch das Dunkel seinem Haus zu. Unterwegs stieß er sich das Schienbein an einem Eimer, verbiss sich aber trotz der Schmerzen jeglichen Fluch.
Die Angst, die er so lange von sich ferngehalten hatte, hielt ihn nun voll und ganz in ihren Klauen. Bei jedem Geräusch erschrak er und blieb schließlich stehen, um zu lauschen. Kurz vor seinem Haus glaubte er, den Tritt fester Männerstiefel und leise Befehle zu hören. Erschrocken prallte er zurück und stieß mit jemandem zusammen.
»Aua! Kannst du nicht aufpassen?«, vernahm er Fraukes Stimme und atmete auf.
»Du bist es, Tochter!«
Frauke fuhr zusammen und erwartete jeden Augenblick eine Ohrfeige. »Verzeih, Vater, aber Mutter schickt mich, dir die Laterne zu bringen, die du vergessen hast!« Noch während sie es sagte, begriff sie, dass sie eine Dummheit gemacht hatte. Ihren Vater auf einen Fehler hinzuweisen, bedeutete ebenfalls Schläge.
Zu ihrem Erstaunen verzichtete er darauf, sondern fasste sie an der Schulter. »Gut, dass ich dich treffe! Geh rasch nach Hause und sage Helm, er soll sofort zum Osttor kommen und meinen Mantel, meinen Reisesack, meinen Stock und die Geldkatze mitbringen.«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?«, fragte Frauke verwundert.
In dem Augenblick saß ihr die Hand des Vaters im Gesicht. »Mach, dass du fortkommst! Wenn Helm nicht bis zum nächsten Viertelstundenschlag der Turmuhr am Tor ist, lasse ich den Stock auf deinem Hintern tanzen, dass du eine Woche lang nicht sitzen kannst.«
Der jähe Stimmungsumschwung des Vaters erschreckte Frauke, und sie wollte sich rasch abwenden. Aber bevor er sie gehen ließ, nahm er ihr die Laterne ab und machte sich auf den Weg zum Osttor. Frauke tastete sich durch das Dunkel der Nacht und hatte Glück, dass sie nicht stürzte.
Als sie in die Küche trat, blickte ihre Mutter erstaunt auf. »Du bist schon zurück?«
»Ich habe Vater unterwegs getroffen und ihm die Laterne gegeben«, berichtete Frauke. »Er lässt ausrichten, dass Helm sofort mit Vaters Mantel, dem Reisesack, dem Wanderstab und der Geldkatze zum Osttor kommen soll, und zwar bevor die Turmuhr das nächste Mal schlägt.«
»Aber wieso?«
»Ich weiß es nicht.« Frauke konnte die Tränen kaum zurückhalten. »Vater hat mir üble Schläge angedroht, wenn Helm nicht rechtzeitig am Tor ist.«
Diese Mitteilung hätte ihren jüngeren Bruder beinahe dazu gebracht, sich extra viel Zeit zu lassen, damit sie die Schläge auch bekam. Aber ihm fiel ein, dass Vater die Stadt verlassen wollte und wohl kaum noch zurückkommen würde, um Frauke zu züchtigen. Stattdessen würde der Stock ihn treffen. Daher beeilte er sich und machte sich kurz darauf voll bepackt auf den Weg. Da er keine Hand frei hatte, um eine Laterne zu tragen, musste Frauke
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