Flammen im Sand
drauÃen?
Mitten in der Nacht! Es ist schon nach zwei. Ich dachte, du schläfst.«
Erik schloss die Tür sorgfältig. »Vetterich ist mit seinen Leuten
immer noch bei der Arbeit.« Er hängte die Jacke an den Garderobenhaken und ging
in die Küche. Kaum hatte er das Licht eingeschaltet, schien der Sturm schwächer
zu werden, sein Heulen leiser, aus dem Rütteln an den Fenstern und Türen wurde
mit einem Mal ein SpaÃ. So jedenfalls kam es Mamma Carlotta vor. Vorbei war
ihre Angst, das Jaulen des Sturms nahm sie kaum noch wahr. Erik war bei ihr,
sie fühlte sich nicht mehr allein.
Dass er in die Küche gegangen war, statt sich schnurstracks in sein
Schlafzimmer zurückzuziehen, zeigte ihr, dass ihn etwas bedrückte. Er hatte
Zuwendung nötig, ein offenes Ohr, etwas Gutes zu essen und zu trinken und
jemanden, der es ihm vorsetzte.
»Ein Rotwein, Enrico? Oder lieber ein Espresso? Etwas Käse? Ich kann
dir auch ein paar Bruschette machen.«
Erik lieà sich am Tisch nieder und schüttelte den Kopf. Aber dann
überlegte er es sich anders und sagte: »Ich werde uns eine Tote Tante
zubereiten.«
Mamma Carlotta sah ihn erschrocken an. War das ein versteckter
Hinweis? War er Tove bereits auf die Schliche gekommen? Und seiner
Schwiegermutter gleich mit?
Erik wuchtete sich vom Tisch hoch. »Bei diesem Wetter ist eine Tote
Tante genau richtig. Die beruhigt und macht warm.« Er lachte über das entsetzte
Gesicht seiner Schwiegermutter. »Keine Sorge! Für eine Tote Tante muss niemand
sterben.« Er holte einen Becher Schlagsahne aus dem Kühlschrank und hielt ihn
Mamma Carlotta hin. »Schlag du die Sahne, ich besorge den Rest.«
Carlottas Erstarrung löste sich allmählich. Sie entspannte sich,
während sie anfing, die Sahne zu schlagen. Und sie schaffte es sogar zu fragen:
»Was sucht Vetterich um diese Uhrzeit? Was Wichtiges? So wichtig, dass du dir
die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hast?«
Erik rührte den Kakao zusammen und erhitzte ihn. »Ich konnte nicht
schlafen, da war es mir lieber, Vetterich bei der Arbeit zu helfen. Wir haben
Pedersens ganzes Haus auf den Kopf gestellt. Aber gefunden haben wir nichts.«
Mamma Carlotta redete laut gegen den Mixer an. »Reichen die Indizien
nicht aus für eine Verurteilung? Es spricht doch alles gegen ihn.«
Erik ging in die Vorratskammer, kehrte mit einer Flasche zurück und
füllte zweimal ein Schnapsglas mit Rum, den er in den Kakao schüttete. »Dass er
als Mörder verurteilt wird, ist mehr als ungewiss. Yvonne Perrette hat er
jedenfalls nicht umgebracht.«
Carlotta stellte den Mixer ab. »Woher weiÃt du das?«
»Er hat ein Alibi.«
Mamma Carlotta starrte in den Kakao, von dem ein Geruch aufstieg, der
nicht zu ihm gehörte, aber wunderbar zu ihm passte. Hatte Tove Griess sich etwa
doch von Jannes Pedersen überreden lassen, ihm ein falsches Alibi zu geben? Es
wurde wirklich Zeit, dass sie ihm ins Gewissen redete. Wenn sie einen Weg fand,
mit dem sie sich nicht selbst verriet!
Sie sah zu, wie Erik das Kakao-Rum-Gemisch in zwei Becher schüttete.
Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als ihr schauspielerisches Talent zu
bemühen. Ausgiebig wunderte sie sich darüber, dass Pedersen ein Hehler sein
sollte, der Luxusuhren von einer Diebesbande übernahm, die in ganz Europa
Juwelierläden überfiel und die Beute an Jannes auslieferte, der sie dann zu
Geld machte.
»Aber wie?«, fragte Erik und krönte die Toten Tanten mit einem
Sahnehäubchen. »Ein Ladengeschäft ist günstig für so was. Da können Uhren über
den Tisch gehen, ohne dass es jemand merkt. Allerdings ⦠so etwas vor Mitarbeitern
geheim zu halten, ist nicht leicht. Und sämtliche Mitarbeiter von Zweirad-Pedersen
behaupten, nichts gemerkt zu haben.« Auch die Durchsuchung des Lagers und der
Werkstatt habe nichts ergeben, ergänzte Erik und setzte sich an den Tisch.
»Vetterich und seine Leute haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt, und ich
habe ihnen dabei geholfen. Nirgendwo eine einzige verdächtige Uhr!«
»Dann habt ihr euch vielleicht getäuscht?«, versuchte es Mamma
Carlotta. »Jannes Pedersen ist ein Mörder, das sieht man auf den ersten Blick!«
»Wenn du wüsstest, wie viele Mörder so harmlos aussehen wie du und
ich«, entgegnete Erik niedergeschlagen, nahm einen Schluck von seiner Toten
Tante und
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