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Flammen im Sand

Flammen im Sand

Titel: Flammen im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Allgemeinen nicht zu befürchten.
    Das Schlimmste, woran Mamma Carlotta sich erinnern konnte, war der
stürmische Sonntag, an dem die Nonna der Familie Maldini den Kinderwagen vor
der Kirche abstellte, in der sie die Jungfrau Maria darum bitten wollte, ihre
Rosenstöcke zu verschonen. Als sie wieder aus der Kirche trat, hatte sich der Kinderwagen
soeben in Bewegung gesetzt, steigerte seine Geschwindigkeit in
besorgniserregender Weise und raste schließlich, vom Wind getrieben, die Gasse
hinab, auf das Haus der Witwe Rossini zu, dessen Tür sich Gott sei Dank im
richtigen Moment öffnete. So schoss der Kinderwagen einem Besucher in die Arme,
der sich gerade verabschiedet hatte und geistesgegenwärtig zugriff, als das
Baby zu einer Rolle vorwärts ansetzte, die auf keinen Fall altersgemäß war.
Damit wurde die Tragödie von dem starken Mann verhindert, der den Dank der
Familie Maldini energisch zurückwies – aber trotzdem nicht verhindern konnte,
dass mit seiner guten Tat sein Verhältnis mit der Witwe Rossini ans Licht
gekommen war, was unter allen Umständen hatte verhindert werden sollen.
    Mamma Carlotta konnte also von Glück sagen, dass es auf Sylt
wenigstens nicht gebirgig war, sonst hätte sie wirklich Geraldine Bertrands
Angebot annehmen müssen. Es war ihr ohnehin schwergefallen, darauf zu
verzichten, mit dem Wagen abgeholt zu werden. Und Erik war erst beruhigt aus
dem Haus gegangen, als sie ihm davon erzählt hatte. Dass sie es nicht
anzunehmen gedachte, weil sie einen Besuch in Käptens Kajüte machen wollte,
hatte sie verschwiegen. So konnte sie sich einreden, nicht wirklich gelogen,
sondern Erik nur das Wesentliche unterschlagen zu haben. So etwas zählte nicht
zu den Sünden, die gebeichtet werden mussten, erst recht nicht, wenn man sie
nur auf sich lud, um einen Freund vor dem Gefängnis zu bewahren.
    Als sie endlich an der Einmündung zum Hochkamp angekommen war, gab
sie auf. Der Wind kam nun nicht mehr von der Seite, er fuhr ihr entgegen.
Direkt vom Meer kam er, brachte alles mit, was in dieser Jahreszeit zu ihm
gehörte: eisige Kälte, Feuchtigkeit und rohe Gewalt. Mamma Carlotta nahm sich
sogar vor, wenn sie zurückfuhr, auf das Vergnügen, sich vom Wind treiben zu
lassen, zu verzichten. Denn die alte Dame, die ihr mit ihrem Rollator
entgegenkam, legte urplötzlich ein so waghalsiges Tempo vor, dass Mamma
Carlotta sie schon kopfüber im nächsten Heckenrosenwall zappeln sah. Aber zum
Glück erschien ein Mann in einer Haustür, der ähnlich groß und stark war wie
jener, der dem Baby der Familie Maldini das Leben gerettet hatte, und lief auf
die Straße, noch ehe die alte Dame sich entschieden hatte, was besser war:
mitsamt dem Rollator weiter in Richtung Westerlandstraße rasen oder ihn im
Stich lassen und hoffen, dass er nicht ausgerechnet mit einem Ferrari
kollidierte, sondern höchstens mit einem billigen Mazda.
    Als Carlotta vor Käptens Kajüte das Fahrrad in einen der nagelneuen
Fahrradständer stellte, wusste sie immer noch nicht, wie sie es anstellen
sollte. Irgendwie musste sie Tove damit konfrontieren, dass sie über seine
krummen Geschäfte Bescheid wusste, sonst würde er sie nicht ernst nehmen. Doch
wie sollte sie das erklären, ohne zu verraten, dass sie bei ihm eingebrochen
war und seine Bestände durchsucht hatte?
    Käptens Kajüte war noch nicht lange geöffnet, doch Fietje saß
bereits an der Theke und nahm sein Frühstück zu sich: ein großes Jever und ein
Brötchen, das so aussah, als wäre es vom Vortag übrig geblieben. Aber da Fietje
neuerdings nicht zu bezahlen brauchte, durfte er sich nicht beklagen.
    Wie immer freute er sich, wenn er Mamma Carlotta sah, und wie immer
machte sie Fietjes Freude glücklich. Toves Entzücken war nicht so leicht zu
durchschauen, aber da Mamma Carlotta darin mittlerweile Übung hatte, wusste
sie, dass auch er sich freute, wenn sie so früh schon in seiner Imbiss-Stube
erschien. Das zeigte er, indem er ihr ungefragt einen Cappuccino auf die Theke
stellte und knurrte: »Geht aufs Haus!« Diese drei Worte, das wusste Mamma
Carlotta inzwischen genau, drückten unbändige Freude aus. Zwar war es schwer,
darüber richtig glücklich zu sein, wenn sie nicht gleichzeitig in ein lachendes
Gesicht schauen konnte, aber sie war trotzdem zufrieden.
    Â»Was für ein Wind!«, stellte sie fest und sah erst Fietje und

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