Flammen im Sand
Hehlerei.«
Der Sturm tobte kurz vor Mitternacht los. Zu Bett gegangen
war Mamma Carlotta mit der Ãberzeugung, sich längst auszukennen mit den
Stürmen. Aber als sie erwachte, wurde ihr klar, dass alles, was sie bisher
erlebte hatte, bestenfalls starke Winde gewesen waren. Dass Erik nach dem
Abendessen das Haus gesichert hatte, war ihr sogar übertrieben vorgekommen, obwohl
sie das Gleiche schon bei Bäcker Arfsten und den Kemmertöns beobachtet hatte.
Der Bäcker hatte die Markise des Ladens festgebunden und sich dabei nicht
einmal von der Neuigkeit stören lassen, dass Jannes Pedersen verhaftet worden
sei. Seine Angst vor dem Sturm und seinen Folgen schien tatsächlich gröÃer zu
sein als seine Neugier. Frau Kemmertöns hatte zwar die Arbeit sofort ruhen
lassen, als Mamma Carlotta mit dem Grünkohltopf bei ihr erschien, aber auch
nur, weil sie ihrem Mann alles in die Hand drücken konnte, womit ihre Rosen
geschützt werden sollten.
Als Mamma Carlotta zurückkehrte, nachdem sie sich lange genug mit
Frau Kemmertöns über die Schlechtigkeit der Welt, der Männer und im Besonderen
Jannes Pedersens ausgetauscht hatte, trug Erik gerade sämtliche Blumentöpfe in
den Geräteschuppen. Sogar Felix, der sich sonst vor jeder Hilfeleistung
drückte, war eifrig damit beschäftigt, die Dachrinne zu befestigen, die sich im
letzten Frühjahr aus ihrer Verankerung gelöst hatte. Eine Sturmwarnung wurde
auf Sylt sehr ernst genommen.
So intensiv befasste sich Erik mit der Sicherung seines Hauses, dass
Mamma Carlotta kaum Gelegenheit hatte, sich nach Jannes Pedersen zu erkundigen.
»Hat er gestanden?«, rief sie zu ihm hoch, während er auf einer Leiter stand,
um alle Ãste und Zweige aus der Krone eines groÃen Baums zu schneiden, die zu
Spielbällen des Sturms werden konnten.
Mehr als ein »Nein!« hatte sie nicht geerntet. Und auf ihre
Ermunterung, lange könne es nicht mehr dauern, da sämtliche Indizien gegen
Pedersen sprächen, hatte er gar nicht geantwortet.
Mamma Carlotta stand auf und warf sich einen Bademantel über. Ehe
sie die Treppe hinabstieg, blieb sie stehen und lauschte. Beängstigend, diese
Stille im Haus, die noch lautloser war, weil der Sturm drauÃen wütete und
lärmte. Er heulte ums Haus, rüttelte an den Fenstern und Türen und schlug die
Zweige der Bäume gegen die Hauswand. Eigentlich wollte sie die Treppe
hinunterschleichen, um niemanden zu wecken, dann jedoch kümmerte sie sich nicht
um die knarrenden Stufen.
Es wäre ihr lieb gewesen, wenn Erik oder die Kinder ebenfalls
aufgewacht wären, um mit ihr zusammen zu beobachten, was der Sturm anrichtete,
und sich gemeinsam mit ihr Sorgen zu machen. Aber im Haus blieb alles still.
Nirgendwo Schritte, keine Tür, die sich leise öffnete.
Sie ging ins Wohnzimmer und trat vorsichtig ans Fenster. Beinahe
Vollmond. Durch die Bäume leuchtete ein grelles Silber, das den Himmel umso
schwärzer machte. Ein eiskaltes Licht, das die Nacht nicht heller, sondern
unheimlicher machte. Wie mochte das Meer aussehen bei diesem Sturm? Sie nahm
sich vor, am nächsten Morgen einen Abstecher zum Strand zu machen, ehe sie zum
Modeatelier fuhr.
Auch die Motorengeräusche, die sonst von der WesterlandstraÃe in den
Süder Wung drangen, waren nicht zu hören. Mamma Carlotta hatte das Gefühl, ganz
allein zu sein mit dem Wüten des Sturms.
Dann aber stach doch ein Brummen aus dem Pfeifen, Brausen und
Heulen, wenig später schlug eine Autotür, ganz in der Nähe. Wer war da so spät
noch unterwegs? Noch dazu bei diesem Wetter!
Gerade wollte sie vom Wohnzimmer in die Küche gehen, wo es ein
Fenster gab, das zur StraÃe hinausführte, da hörte sie das Geräusch an der
Haustür. Ein Scharren in der Nähe des Schlüssellochs, ein Schlüssel, der seinen
Weg suchte. Kein Zweifel, jemand versuchte, in dieses Haus einzudringen.
Jemand, der glaubte, dass alles schlief. Mit einem gestohlenen Zweitschlüssel?
Oder mit einem Dietrich?
Langsam ging die Tür auf, sehr langsam und vorsichtig. Durch den
schmalen Spalt stach die Kälte, grell pfeifend fuhr der Wind in den Flur. Unter
einer kräftigen Bö wurde die Haustür plötzlich aufgerissen, prallte gegen die
Wand â und Erik stand vor Mamma Carlotta.
»Warum bist du nicht im Bett?«, fragte er erschrocken.
»Weil der Sturm mich geweckt hat! Und du? Was machst du da
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