Flammen im Sand
Montepulciano, den Tove
sonst immer für sie bereithielt.
Erwartungsvoll stieà sie die Tür auf und blieb auf der Schwelle
stehen. Innen sah Käptens Kajüte noch genauso aus wie vorher. Das Ambiente war
düster wie eh und je, die olivgrünen Bodenfliesen, die holzvertäfelte Decke und
die verklinkerten Wände schluckten das Licht, das sowieso nur spärlich
hereinfiel. Und da in Toves Kasse bisher stets Ebbe geherrscht hatte, kam
künstliches Licht nur infrage, wenn ein Gast partout den Zustand seiner Bratwurst
genauer in Augenschein nehmen wollte, ehe Tove sie mit ZigeunersoÃe übergoss.
Mamma Carlotta war beruhigt. Modernisierungen mussten zwar sein, aber was sich
mit einem Heimatgefühl verband, musste bleiben, wie es war. Notfalls auch
hässlich!
Auch der Wirt hatte sich nicht verändert. GroÃ, derb und übellaunig
stand er hinter der Theke, in einem karierten Hemd, vor dem Bauch eine Schürze,
die schon längst nicht mehr weià war. Sein grobes Gesicht zog sich in die
Breite, als Mamma Carlotta eintrat. Sie wusste mittlerweile, dass sie mehr
nicht erwarten konnte. Mit diesem Auseinanderziehen seiner Mundwinkel drückte
Tove höchste Zufriedenheit aus, und geradezu unbändiger Freude verlieh er
Ausdruck, wenn er sich wie jetzt wortlos umdrehte und eine Flasche mit dem
Rotwein aus Montepulciano aus dem Vorratsraum holte. Wenn er dann noch während
des EingieÃens sagte »Geht aufs Haus!«, dann war das etwa so, als hätte Mamma
Carlotta, nachdem sie in einer Cafeteria eine alte Bekannte getroffen hatte,
vor lauter Wiedersehensfreude einen Stuhl umgeworfen, die andere abgeküsst,
immer wieder nach der Gesundheit, der Familie und der Zahl der Enkelkinder
gefragt, vor lauter Begeisterung nicht auf die Antworten gehört und im Taumel
des Entzückens ihren Espresso und auch noch das Bezahlen vergessen.
Fietje Tiensch drückte seine Freude immerhin ein wenig inbrünstiger
aus. Er lachte übers ganze Gesicht, nahm seine Bommelmütze ab, von der es
eigentlich hieÃ, sie sei an seinem Kopf festgewachsen, und rief laut und
deutlich: »Moin, Signora! Auch mal wieder auf Sylt?«
Mamma Carlotta bestätigte es freudestrahlend, schilderte, was sie
von dem schrecklichen Wind auf der Insel hielt, lieà sich zu so groÃen Gesten
hinreiÃen, dass Tove das Rotweinglas von ihr wegrückte, und bemerkte dann, dass
sie vor lauter Freude italienisch gesprochen hatte. Das schien aber weder Tove
noch Fietje zu stören, weil sie ihrem Redefluss in der ersten halben Stunde
nach ihrem Erscheinen sowieso selten folgen konnten, auch dann nicht, wenn sie
deutsch sprach. Erst wenn die Wiedersehensfreude überstanden war, fanden die
drei zu einer Form der Unterhaltung, die jedem von ihnen etwas brachte.
Wenn Mamma Carlotta aus Käptens Kajüte zurückkehrte, dachte sie
manchmal darüber nach, ob sie Erik ihre Besuche bei Tove Griess gestehen
sollte. So schlimm, wie ihr Schwiegersohn immer sagte, konnte der Wirt gar
nicht sein! Dass er gelegentlich wegen Unterschlagungen, kleinerer Diebstähle
oder wüster Schlägereien in den Knast gekommen war, lag doch nur daran, dass er
oft nicht genug Geld zum Leben und leider ein leicht erregbares Naturell hatte.
Und dass Fietje häufig Ãrger mit der Polizei bekam, weil er gern in fremde
Schlafzimmer guckte und sich nachts auf fremden Grundstücken herumtrieb, war
doch verzeihlich, schlieÃlich kam niemand dabei zu Schaden. Und eigentlich war
es traurig, dass Fietje darauf angewiesen war, am Leben teilzunehmen, indem er
das Leben anderer beobachtete. Ob Erik das einsehen würde, wenn sie es ihm
gründlich auseinandersetzte?
Aber immer, wenn Mamma Carlotta eine Weile über diese Frage
nachgedacht hatte, kam sie zu der Ansicht, dass er es wohl nicht einsehen
würde. Besser, sie schwieg über ihre Bekanntschaft mit Tove Griess und Fietje
Tiensch, dann würde Erik sie kein weiteres Mal auffordern, Käptens Kajüte und
die Gesellschaft dieser beiden zu meiden, und sie würde niemals gezwungen sein,
seiner ausdrücklichen Bitte zu widersprechen oder ihn sogar belügen zu müssen.
Vielleicht hatte er ja auch recht? Wie sollte Erik damit fertigwerden, dass er
einen Mann in eine Gefängniszelle sperrte, der extra für seine Schwiegermutter
Wein aus Montepulciano bezog? Nein, das war ihm wohl wirklich nicht zuzumuten.
Sie schob sich auf einen Barhocker, rutschte eine
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