Flammen im Sand
Schlafzimmerfenster.
Den beiden Männern etwas zu erzählen, hatte zwar bei Weitem nicht die gleiche
befriedigende Wirkung, wie wenn Carlotta beispielsweise ihrer Freundin Marina
etwas berichtete, aber vielleicht würde es ihr ja schon ein wenig besser gehen,
wenn sie sich durch den Wind gequält hatte, um etwas von ihrer freudigen
Erregung loszuwerden. Diese Erfahrung hatte sie schon oft gemacht. Wenn es
niemanden gab, dem sie etwas erzählen konnte, was gottlob selten vorkam, dann
half es, die Neuigkeiten herauszulaufen, zu -schütteln, zu -putzen oder zu
-waschen. In diesem Fall würde sie es also mit dem Laufen versuchen und sehen,
ob sie sich befreit fühlte, wenn sie vor Käptens Kajüte ankam.
Zum Hochkamp war es nicht weit, deshalb beschloss sie, aufs Fahrrad
zu verzichten und zu Fuà zu gehen. Prompt war der Wind kein Gegner mehr,
sondern ein Freund, der mit den Haaren, den Schals, den Mantelhälften und den
Einkaufstaschen spielte. Nicht einmal die Kälte, die er mitbrachte, störte,
wenn man beide Hände frei hatte und sich den hochgeschlagenen Kragen an die
Wangen drücken konnte, um das Gesicht vor den eisigen Spitzen zu schützen, die
der Wind gelegentlich vor sich hertrieb.
Als sie von der WesterlandstraÃe in den Hochkamp einbog, musste sie
sich gegen die Böen stemmen, um voranzukommen, den Kopf geneigt und so klein
und vorgebeugt, dass der Wind nur wenig Angriffsfläche hatte. Deswegen sah sie
die Veränderungen auch erst, als sie schon in der Nähe der Imbiss-Stube
angekommen war und sich aufrichtete.
Der dunkle schadhafte Klinker von Käptens Kajüte war mit weiÃer
Farbe übertüncht und der Platz vor der Eingangstür gepflastert worden. An der
rechten Seite des kleinen Gebäudes hatte Tove eine Mauer abreiÃen lassen,
hinter der sich bisher jede Menge Gerümpel verborgen hatte, das nun anscheinend
auf der Müllkippe gelandet war. Auch dieser Teil des Grundstücks war
gepflastert worden, es sah so aus, als wollte Tove dort im Sommer einen Biergarten
eröffnen. Sogar einen Fahrradständer gab es nun neben dem Eingang und darüber
ein neues Schild mit dem Namen der Imbiss-Stube und dem Konterfei eines
Käptens.
War er etwa zu Geld gekommen? Bisher kannte Mamma Carlotta den Wirt
nur als jemanden, der mühsam über die Runden kam, weil er im Sommer wenig und
im Winter nur das Allernötigste verdiente. Käptens Kajüte lag nicht weit vom
nächsten Strandaufgang entfernt, das sicherte Tove in der Hauptsaison die
Badegäste, die nicht in den Ort gehen wollten, um an eine Currywurst, ein
gekühltes Getränk oder ein Eis für die Kinder zu kommen. Diese Kunden fielen
jedoch im Winter weg, und da das Ambiente von Käptens Kajüte alles andere als
behaglich, das Essen alles andere als schmackhaft und der Wirt alles andere als
zuvorkommend waren, blieben die Touristen aus, und die Einheimischen erst
recht. Nur einen einzigen Stammgast hatte Tove Griess: Fietje Tiensch, der bei
ihm frühstückte, indem er sein erstes Jever trank, und auch alle anderen
Mahlzeiten bei ihm einnahm, immer in Form von Bier. Nur gelegentlich lieà er
sich eine Fischfrikadelle neben das Glas legen oder eine von den Bratwürsten,
die nicht gut gelungen waren und zum halben Preis weggingen.
Mamma Carlotta konnte sich nicht genug wundern. Sie machte sogar ein
paar Schritte ums Haus herum, um nachzusehen, ob die Mülltonnen endlich groÃ
genug waren, damit nicht ein Teil der Abfälle daneben landete und diese
schrecklichen Ratten anzog, von denen eine mal durch Toves Küche gelaufen war.
Als sie wieder um die Hausecke bog, öffnete sich die Tür zu Käptens
Kajüte, und ein Mann trat heraus, der auf einen Lieferwagen mit der Aufschrift Zweirad-Pedersen zusteuerte. Jannes Pedersen, der
Lebensgefährte von Yvonne Perrette, hatte anscheinend in Käptens Kajüte eine
Mahlzeit eingenommen. Mamma Carlotta beobachtete, wie er leicht breitbeinig
seinen Wagen erreichte und aufschloss.
Mamma Carlotta blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Jannes
Pedersen war der Besitzer eines Geschäftshauses in Westerland, besaà einen
florierenden Fahrradhandel und war so wohlhabend, dass er es sich leisten
konnte, seiner Lebensgefährtin eine Schneiderei einzurichten. So einer
verkehrte bei Tove Griess? Dann musste sich hinter der Tür auch viel verändert
haben. Hoffentlich gab es immer noch den Rotwein aus
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