Flammen im Sand
der
selbst für eine Italienerin nur mit Netz und doppeltem Boden zu bewältigen war.
»Treten Sie ein!«
Sie übersah den Topf in Frau Kemmertönsâ Händen geflissentlich, den
sie unter anderen Umständen mit vielen übertriebenen Jubelrufen
entgegengenommen hätte. Doch als sie an der Erkenntnis nicht mehr vorbeikam,
dass die Nachbarin ihr Grünkohl gebracht hatte, gelang es ihr immerhin noch, so
zu reagieren, dass ein gebürtiger Friese von blankem Entzücken geredet hätte.
Und während sie Frau Kemmertöns in die Küche führte, fiel ihr zum Glück ein
Grund ein, warum sie das Sylter Nationalgericht nicht umgehend probieren
konnte. »Den werde ich aufwärmen, sobald Erik und die Kinder zurück sind. Was
werden die sich freuen!«
Frau Kemmertöns war zufrieden und bestand erfreulicherweise nicht
darauf, dass Mama Carlotta den Grünkohl in ihrer Gegenwart probierte. Das lag
natürlich auch daran, dass er nur ein Vorwand gewesen war, um einen Besuch bei
den Wolfs zu machen. Auf den eigentlichen Grund lieà sie Mama Carlotta nicht
lange warten. »Warum wurde das Biikebrennen abgebrochen? Stimmt es, dass eine
Leiche unter der Biike lag?«
Die nächste halbe Stunde verging wie im Fluge. In der Küche war es
warm, durch den eisigen Wind, der ums Haus wehte, und die Kälte, die vor den
Fenstern stand, wurde die Wärme noch kostbarer. Und die Finsternis auf dem
Süder Wung machte aus dem hell beleuchteten Viereck des Tisches eine Insel der
Behaglichkeit. Mamma Carlotta und Frau Kemmertöns waren sich schnell einig,
dass ein klarer Schnaps nicht nur nach dem Grünkohlessen für gute
Verträglichkeit sorgte, sondern auch prophylaktisch genossen vernünftig war.
Dann hatten sie Yvonne Perrettes schreckliches Ende von allen Seiten
beleuchtet, sich in sämtlichen Vermutungen ergangen, die einigermaÃen
vertretbar waren, und vor keiner Verdächtigung haltgemacht. Dass Jannes
Pedersen den ersten Platz auf der Liste der potenziellen Mörder einnahm, auch
darüber waren sich die beiden schnell einig. Ein längerer Meinungsaustausch war
zu Mamma Carlottas Bedauern in diesem Falle nicht vonnöten. Aber zum Glück lieÃ
sich über Geraldines Rolle in diesem Drama lang und breit reden.
»Stellen Sie sich vor«, flüsterte Frau Kemmertöns, als hätte sie
Angst vor ihren eigenen MutmaÃungen, »was mir Marikke erzählt hat, bevor das
Biikebrennen begann â¦Â«
Mamma Carlotta holte vorsichtshalber ein paar Antipasti aus dem
Kühlschrank, weil ihre Lebenserfahrung ihr sagte, dass Sensationen auf
nüchternen Magen schwer zu vertragen waren.
Dass Marikke Tadsen am Nachmittag vor Yvonnes Verschwinden ein
Gespräch zwischen den beiden Mode-Schwestern belauscht hatte, war mit
marinierten Paprikaschoten, eingelegten Mozzarellakugeln und ein paar
Artischockenherzen in Tomaten-Vinaigrette eindeutig leichter zu verkraften.
Eifrig berichtete Frau Kemmertöns nun, Yvonne habe ihrer Schwester schwere
Vorhaltungen gemacht, weil sie dahintergekommen war, dass Geraldine ein
Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatte, der aber nicht beim Namen
genannt worden war. »Marikke muss mit ihrem Rollstuhl ja immer durch den Garten
fahren, weil ins Modeatelier zwei Stufen hinaufführen. Die Schwestern haben
nicht bemerkt, dass Marikke vor der Terrassentür stand und sie belauscht hat.«
Mamma Carlotta schlug eine Hand vor den Mund. »Madonna! Und die arme
Signora Tadsen wusste nicht, dass von ihrem eigenen Mann die Rede war?«
Frau Kemmertöns nickte bekümmert. »Ich war drauf und dran, ihr die
Wahrheit zu sagen, das können Sie mir glauben.«
Aber nachdem ein weiterer Schnaps bei der Erörterung der Frage konsumiert
worden war, ob in diesem Falle die Wahrheit eventuell besser sei als eine
fromme Lüge, stand für die beiden fest: Marikke musste weiterhin ahnungslos
bleiben.
»Wahrscheinlich wird ja sowieso bald Schluss sein mit dieser
unseligen Affäre«, sagte Frau Kemmertöns geheimnisvoll.
Mamma Carlotta sah sie erstaunt an. »Glauben Sie wirklich?«
»Natürlich! Wenn sie im Knast sitzt!«
Darauf brauchte Mamma Carlotta einen weiteren Schnaps. »Sie meinen,
Geraldine hat ihre Schwester umgebracht, damit sie nichts von ihrem Verhältnis
mit Wilko Tadsen verrät?«
Frau Kemmertöns schob statt einer Antwort ihr Schnapsglas näher zur
Flasche, ein
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