Flammen im Sand
geliefert.«
»Hast du nicht! Und der Kunde war ganz schön stinkig. Er denkt, ich
wollte ihn übers Ohr hauen!«
»Vielleicht wolltest du das?«
»Ich habe ihm den Karton so gegeben, wie ich ihn von dir bekommen
habe.«
»Da waren aber zwölf drin!«
»Waren es nicht! Und ich lasse mich von dir nicht â¦Â«
Der Rest des Satzes ging in einem Gerangel unter. Als Erik und Sören
dazukamen, sahen sie, dass Jannes Pedersen einen Mann an die Hauswand drückte,
der etwa so groà war wie er selbst und vermutlich genauso stark. Trotzdem
gelang es ihm nicht, sich aus Pedersens Griff zu befreien. Das mochte daran
liegen, dass er von dem Angriff überrascht worden war oder dass der Jähzorn
Jannes Pedersen stärker gemacht hatte, als er sowieso schon war. Jedenfalls
gelang es dem Mann nicht, sich aus der Umklammerung seines Widersachers zu
lösen. Und als Pedersen sein rechtes Knie hochschnellen lieÃ, brach sein
Widerstand zusammen. Er schrie auf, sein Oberkörper fiel nach vorn, sein Kopf
sackte gegen die Brust seines Angreifers.
Schon stand Erik neben den beiden und zerrte Jannes Pedersen von
seinem Opfer weg. »Sind Sie verrückt geworden?«
Pedersen trat einen Schritt zurück, wenn auch sichtlich ungern.
»Mischen Sie sich nicht ein. Das geht Sie nichts an.«
Erik wartete, bis Pedersens Opfer sich langsam wieder aufgerichtet
hatte. Dann erst erkannte er ihn. »Sieh an! Tove Griess! Mal wieder in eine
Schlägerei verwickelt?«
Mamma Carlotta sah Stefan Lürsens Wagen noch nach, als sie
im Nebenhaus eine Tür klappern hörte. Neugierig blieb sie auf dem Treppenabsatz
stehen. Bestand die Aussicht, dass jemand auf der Bildfläche erschien, mit dem
sich eine Unterhaltung beginnen lie� Ein Gespräch würde ihr jetzt guttun. Sie
gehörte zu den Menschen, die sich das Entsetzen von der Seele reden mussten.
Aber mit wem sollte sie sprechen? Die Kinder waren noch nicht zu Hause, und
Erik würde vermutlich noch lange mit seiner Ermittlungsarbeit zu tun haben. Ein
Besuch in Käptens Kajüte war zu riskant, auÃerdem bestand die Gefahr, dass Tove
ihr erneut diesen Grünkohl anbieten würde, dem sie am Nachmittag nur knapp
entronnen war. Und wer konnte schon sagen, ob seine Imbiss-Stube überhaupt
geöffnet war? SchlieÃlich rechnete Tove an diesem Abend erst in etwa zwei
Stunden mit Gästen, die vom Biikefeuer zurückkamen. Nein, sie musste geduldig
darauf warten, dass sich jemand zu ihr gesellte, der genauso gern über das
schreckliche Ereignis reden wollte wie sie selbst.
Sie machte einen langen Hals, als sie Schritte hörte. Vielleicht war
Frau Kemmertöns auf dem Weg zur Mülltonne? Dann würde es womöglich reichen, ihr
einen Gruà zuzurufen, damit die Nachbarin herbeigelockt wurde. AnschlieÃend konnten
sie dann gemeinsam so lange über all das Schreckliche reden, bis Mamma Carlotta
hoffen durfte, dass Yvonne Perrette ihr nicht als unbewältigtes Problem im
Traum erschien.
Es kam sogar noch besser, als sie gehofft hatte. Frau Kemmertöns
musste nicht ins Haus gelockt werden, sie war auf dem Weg zu Mamma Carlotta.
Was für ein Glück, dass auch eine zugeknöpfte Inselbewohnerin von Neugier
geplagt wurde, wo es Mamma Carlotta bei ihren ersten Besuchen auf Sylt doch so
vorgekommen war, als könnte die Leidenschaftslosigkeit eines echten Friesen
durch nichts in Versuchung geführt werden.
Anscheinend aber war Frau Kemmertöns ihre eigene Neugier nicht ganz
geheuer. Sie brauchte einen zweiten Grund zur Kontaktaufnahme, einen
nachbarlichen Grund, und zwar in Gestalt eines Topfes, den sie feierlich über
den Bürgersteig zum Hause Wolf trug. »Ich habe gehört, dass Sie zurückgekommen
sind«, rief sie schon von Weitem. »Die Kinder und Ihr Schwiegersohn werden
sicherlich auch bald eintreffen.« Nun war sie vor den Stufen angekommen, die
zur Haustür hinaufführten. »Und alle hatten sich auf das Grünkohlessen in der
Norddörfer Halle gefreut«, fuhr Frau Kemmertöns fort. »Mein Mann will ja immer
nur den Grünkohl, den ich selber gekocht habe. Wir hätten unseren Grünkohl also
sowieso zu Hause gegessen â¦Â«
Damit hatte sie schneller, mehr und lauter gesprochen, als es
eigentlich ihre Art war, und lieà sich erschöpft von Mamma Carlotta über die
Schwelle ziehen. Die ahnte, dass ihr ein Akt der Diplomatie bevorstand,
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