Flammen über Arcadion
Templerakademie war erfreulich groß. Das bedeutete, dass sie mit dem Phantom ohne weitere Schwierigkeiten darauf landen konnten.
»Danke, Gamilia«, sagte Enzo. »Du hast uns sehr geholfen. Halte dich morgen bedeckt, und bleib unter allen Umständen dem Quirinalsplatz fern. Es könnte dort etwas Ärger geben.«
»Ich verstehe«, erwiderte sie. »Lasst euch nicht erwischen.«
Während Enzo das Funkgerät wieder verstaute, wandte Jonan sich an Pitlit. »Jetzt bist du gefragt«, sagte er. »Glaubst du, es gelingt dir, in die Stadt hineinzukommen und uns über die Mauer zu holen?«
»Kleinigkeit«, tönte der Straßenjunge. »Ich schaue mir erst die Stelle an, von der aus wir die Stadt verlassen haben. Und wenn an der Ecke zu viele Wachleute unterwegs sind, gibt es noch eine zweite Stelle, einen Kilometer oberhalb des Westtors.«
»Wir treffen uns um Mitternacht«, sagte Jonan. »Nimm meine Taschenlampe mit. Damit kannst du uns ein Signal geben. Wenn wir dich beim Dom des Lichts nicht vorfinden, kommen wir eine halbe Stunde später zum zweiten Treffpunkt.«
»Alles klar, bis dann.« Der Straßenjunge schnappte die angebotene Lampe, grinste breit und rannte davon.
Enzo schüttelte den Kopf. »Er hält das Ganze für ein Spiel, wie mir scheint.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Jonan. »Pitlit erträgt es nur nicht, lange Zeit ernst zu sein. Er muss sich einreden, dass alles nicht so schlimm ist. Sonst wäre er an dem, was er schon erlebt hat, wahrscheinlich längst zerbrochen.«
»Und er ist bloß ein Junge … « Enzos Stimme war ein angewidertes Knurren. »In was für einer Welt leben wir nur?«
Jonan wusste, dass die Frage rhetorisch gemeint war.
In den folgenden Stunden blieb ihnen nichts anderes übrig als abzuwarten. Jonan fiel das ausgesprochen schwer, denn er spürte die Zeit förmlich zwischen den Fingern zerrinnen. Aber es wäre zu gefährlich gewesen, zu versuchen, bei Tageslicht über die Mauer zu klettern. Und auch der Weg durch die Stadttore barg ein unberechenbares Risiko. Es war anzunehmen, dass immer noch nach ihm gefahndet wurde.
Die Stunden bis Mitternacht zogen sich dahin. Einmal fuhr ein Bauer mit seinem Eselsgespann die Straße vor dem Haus hinunter. Etwas später, es war gerade dunkel geworden, lief eine Gruppe halbwüchsiger Jungen an ihrem Versteck vorbei, deren Kleidung zu ordentlich war, als dass es sich um Straßenkinder hätte handeln können. Jonan musste daran denken, was Carya ihm über ihre Klassenkameraden erzählt hatte, die es als Mutprobe ansahen, sozusagen den Zeh ins kalte Wasser zu halten, das außerhalb der Mauern von Arcadion lag. Keiner von denen hat auch nur die geringste Ahnung davon, wie kalt das Wasser innerhalb der Mauern werden kann , dachte er düster.
Um sich die Zeit zu vertreiben, sortierte Jonan die Habseligkeiten in seinem Beutel, um nur das Nötigste mit auf ihre Befreiungsaktion zu nehmen. Das hätte ich schon bei den Mutanten im Dorf machen sollen , schalt er sich. Andererseits hatte Enzo auch sein ganzes Werkzeug und das Funkgerät mitgenommen. Sie mussten hierher zurück, nachdem sie erfolgreich aus Arcadion geflohen waren. Falls wir erfolgreich entkommen. Sollten sie jedoch erwischt werden, spielte derVerlust ihrer Habseligkeiten auch keine Rolle mehr, denn in dem Fall war ihr Leben ohnehin verwirkt.
Jonan nahm die Bücher und Caryas Kleidung aus dem Beutel. Dabei fiel ihm ein gefaltetes und zerknittertes Blatt Papier in die Hände. Stirnrunzelnd faltete er es auseinander und erkannte zu seinem Erstaunen den Briefkopf des Tribunalpalasts darauf. Das Blatt war leer, bis auf eine Unterschrift: Inq. Ellio . Das Dokument musste von Carya stammen, und es sah überraschend nach einem Blankoschreiben aus. Die Unterschrift von Inquisitor Ellio wirkte täuschend echt. Jonan hatte mehr als einmal Befehle von ihm an die Garde in den Händen gehalten. Woher hat sie das? , fragte er sich.
»Was ist das?«, wollte Enzo wissen.
Nachdenklich wiegte Jonan den leeren Brief in den Händen. »Ich glaube, etwas, das uns ausgesprochen nützlich sein könnte«, sagte er und hielt dem Invitro das Blatt hin.
»Ist die Unterschrift echt?«, fragte der.
»Zumindest so gut wie.«
Enzo blickte Jonan vielsagend an. »Dann lässt sich damit wirklich einiges anfangen – solange wir es nicht übertreiben und ein Nachprüfen herausfordern.«
Die letzten zwei Stunden vor Mitternacht saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander und starrten ins Leere. Jeder war mit
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