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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das Gesicht konnte es keine eindeutige Identifikation geben. Er trat beiseite.
    »Danke.« Lord Landsborough trat näher, hob das Laken und sah schweigend hin. Zwar war die eine Gesichtshälfte vollständig zerstört, doch die andere wirkte nahezu friedvoll. Dann ließ er das Laken sinken. »Das ist mein Sohn«, sagte er kaum hörbar. Es klang, als habe er lauter sprechen wollen, sein Körper ihm aber nicht gehorcht. »Möchten Sie noch mehr von mir wissen, Mr Narraway?«
    »Leider ja, Sir.« Narraway wandte sich um und ging ihm durch den Gang voraus. Nachdem er dem Angestellten knapp gedankt hatte, trat er in die Wärme der Straße hinaus, über die der Verkehr flutete.
    »Irgendwoher müssen die Leute das Geld zum Kauf der Waffen und des Dynamits gehabt haben«, sagte er. »Sofern wir feststellen könnten, wo diese Dinge gekauft worden sind, gäbe uns das unter Umständen die Möglichkeit, die anderen Anarchisten aufzuspüren, bevor sie weitere Häuser in die Luft jagen.« Er sprach ganz bewusst von diesem Zerstörungswerk, ohne darauf zu achten, dass sich Landsboroughs Gesicht dabei vor Schmerz verzog. »Wir müssen sie unbedingt finden«, betonte er, »und in Erfahrung bringen, mit wem Ihr Sohn verkehrt und was er in letzter Zeit getan hat.«
    »Das verstehe ich gut«, gab ihm Landsborough Recht und blinzelte ein wenig in die Sonne, als sei ihr Licht greller als zuvor, »kann Ihnen da aber nicht weiterhelfen. Magnus war nur selten zu Hause. Zwar kannte ich seine Überzeugungen – allerdings, wie ich gestehen muss, nicht deren Intensität –, doch nicht die Menschen, mit denen er Umgang hatte.« Er biss sich auf die Lippe. »Und was Geld betrifft: Er konnte über einen gewissen Betrag verfügen, den ich ihm ausgesetzt hatte. Der aber dürfte gerade genügt haben, seine Bedürfnisse an Nahrung und Bekleidung zu befriedigen. Für Waffenkäufe war da sicherlich nichts übrig. Ich habe die Miete für eine Wohnung in der Nähe des Gordon Square für ihn bezahlt – er wollte gern unabhängig sein.«
    »Ich verstehe.« Narraway war nicht sicher, ob er dem Mann aufs Wort glauben sollte, doch war ihm klar, dass es im Augenblick zu nichts führen würde, der Sache weiter nachzugehen. »Wir müssen uns die Räume am Gordon Square ansehen, für den Fall, dass sich dort etwas befindet, was uns zu seinen Gesinnungsgenossen führen könnte.«
    »Selbstverständlich. Ich werde Ihnen jemanden schicken, der Ihnen die genaue Anschrift und meine Schlüssel zu der Wohnung gibt.« Landsborough straffte sich. »Falls das alles ist, Mr Narraway, würde ich gern nach Hause zurückkehren, um meine Frau zu unterrichten.«
    »Selbstverständlich, Sir. Ist es Ihnen recht, wenn ich zur Hauptstraße hinübergehe und Ihnen eine Droschke hole?« Er sagte das fast ohne nachzudenken; es kam ihm ganz natürlich vor.
    Landsborough dankte ihm und wartete reglos am Bordstein.

    Pitt kehrte in einer sonderbaren Stimmung in die Long Spoon Lane zurück. Dort standen nach wie vor Polizeibeamte Wache, und einer von ihnen hielt ihn an. Als er merkte, wen er vor sich hatte, nahm er Haltung an.
    Pitt konnte ihm nicht verdenken, dass er ihn nicht sogleich
erkannt hatte. Wer ihn sah, hätte in ihm nie den höheren Beamten vermutet. Er war hoch gewachsen und schritt auf die lässige Art eines Landbewohners aus, der es gewohnt ist, in Heide-und Waldgebieten große Entfernungen zurückzulegen. Wie Narraway schon gesagt hatte, war sein Vater Wildhüter auf einem großen Landgut gewesen. Als Junge hatte ihn Pitt gelegentlich durch die Wälder und über die Heide begleitet. Noch jetzt, Jahrzehnte später, neigte er dazu, sich die Taschen voller Dinge zu stopfen, die ihm eines Tages vielleicht nützlich sein konnten. So kam es, dass sich darin nicht nur ein Taschentuch befand, sondern auch Bindfadenreste, Münzen, Siegelwachs, eine Schachtel Zündhölzer, Bleistiftstümpfe und Zettel sowie Büroklammern, Pfeifenreiniger, Schlüssel und Knöpfe, von denen er selbst nicht wusste, wozu sie gehörten – außerdem einige eingewickelte Pfefferminzbonbons.
    »Wie geht es Ihrem Kollegen, den man angeschossen hat?«, erkundigte er sich.
    »Ganz ord’ntlich, Sir«, versicherte ihm der Mann. »Hat ’n bissch’n geblutet, es is aber nich besonders schlimm. Er hat Glück gehabt. Sicher woll’n Se mit’m Wachtmeister sprech’n?«
    »Ja. Außerdem muss ich noch einmal in das Haus und mir den Raum genauer ansehen, in dem man den jungen Mann erschossen hat. Wer war als Erster

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