Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
gestatten, dass ich dich von meinem Kutscher nach Hause bringen lasse. Bitte widersprich mir da nicht.«
Das tat er allerdings nicht, sondern war dankbar und sagte ihr das auch.
Pitt schlief besser, als er erwartet hatte. Ursprünglich hatte er Charlotte nicht in Einzelheiten berichten wollen, was geschehen
war. Nicht nur, weil er sie nicht unnötig ängstigen wollte, sondern auch, weil es ihm peinlich war, dass er Voiseys Worte für bare Münze genommen hatte. Das war töricht gewesen, ganz gleich, wie wahrscheinlich sie geklungen oder wie sehr die Umstände gedrängt haben mochten.
Allerdings erriet sie so viel, dass er ihr die Sache nicht vorenthalten konnte, ohne sie zu belügen. Es erwies sich, dass sie weit mehr Verständnis aufbrachte, als er angenommen hatte. Zu seiner großen Erleichterung kritisierte sie ihn nicht, sondern gab sogar zu, dass sie das Beweismaterial gegen Mrs Cavendish aus genau den von ihm vermuteten Gründen nicht verwendet hätte.
Als er am nächsten Morgen nach unten ging, beschäftigten ihn Familienangelegenheiten, bis die Kinder zur Schule mussten. Dann schlugen er, Charlotte und Gracie die Zeitungen auf. Sie hatten kaum mehr als die Schlagzeilen gelesen, als Vespasia eintraf, bald darauf gefolgt von Tellman und etwas später von Victor Narraway, den Vespasia hinzugebeten hatte. Sie alle machten bedenkliche Gesichter.
Die Times lag aufgeschlagen auf dem Küchentisch, um den sie alle herumsaßen. Auch die übrigen Blätter brachten die Geschichte; sie unterschieden sich lediglich darin, dass sie jeweils andere Aspekte hervorhoben.
Alles war am Vorabend geschehen, rechtzeitig für die Morgenausgabe. Natürlich, dachte Pitt geknickt. Bestimmt hatte Voisey das im Hinblick darauf genauestens geplant. Er konnte nicht zulassen, dass Narraway Zeit für eine Reaktion oder für die Annahme blieb, dass Pitt tot war und daher nicht tätig werden konnte.
Wie es aussah, war Voisey mit dem Beweis für Simbisters Korruption zum Innenminister gegangen. Offenbar hatte er sich entschieden, die Ermordung Magnus Landsboroughs durch Piers Denoon zu verschweigen und die systematische Erpressung kleiner Geschäftsleute, die mit Kleinbeträgen umgingen, wie Wirte, Ladeninhaber und dergleichen, in den Vordergrund gestellt –
gewöhnliche Menschen, die den größten Teil der Bevölkerung ausmachten.
Dann war er auf den Sprengstoff im Laderaum der Josephine zu sprechen gekommen und hatte Beweise dafür vorgelegt, dass er von Grover stammte und zwischen diesem und Simbister eine enge Beziehung bestand. Ergänzt hatte er den Bericht um eine dramatische Schilderung des Mordversuchs, den Grover an ihm selbst, Voisey, und einem Beamten des Staatsschutzes verübt hatte, dessen Namen er aus Geheimhaltungsgründen nicht nennen dürfe.
All das las sich sehr spannend. Nicht nur wurde die Empörung über den weitgehenden Machtmissbrauch deutlich, das Ganze war auch mit menschlichen Empfindungen verbrämt. Offensichtlich sollte die Sache an den kommenden Tagen, wenn nicht gar über mehrere Wochen hinweg, weiter ausgesponnen werden. Die Leser würden den Verkäufern die Blätter aus den Händen reißen, um auf keinen Fall etwas zu verpassen.
Auch Denoon brachte die Geschichte in seiner Zeitung, stellte sie aber zurückhaltender dar. Im Vordergrund stand dabei die Frage, wie es zu einer solchen Tragödie hatte kommen können. Dann drückte er seine Vermutung aus, man werde die Erklärung sicherlich bald nachliefern und diesem Treiben ein Ende bereiten, sowie die Überzeugung, dass es sich um einen Einzelfall handele.
Mit alldem aber würde er nicht verhindern können, dass man Tanquerays Gesetzentwurf auf Eis legen würde. Die Vorstellung, ein Mann wie Simbister könne über eine Art bewaffneter Privattruppe mit weitgehenden Vollmachten gebieten, war unerträglich.
»Das wird aber nur ein kurzer Aufschub sein«, sagte Narraway mit finsterer Miene. »Solange niemand einen Beweis dafür liefert, dass auch Wetron in diese Sache verwickelt ist, lässt sie sich als Versagen eines einzelnen korrupten höheren Beamten darstellen, der seine Männer auf einen falschen Weg geführt hat.«
Gracie hatte den Kessel aufgesetzt und stand jetzt mit dem Rücken zum Herd. Sie hatte Tellman einen kurzen Blick zugeworfen
und ihm verständnisinnig zugenickt. Die Tassen standen auf dem Küchentisch, daneben ein Krug Milch aus der Speisekammer und die Zuckerschale. Als Dampf aus dem Kessel zu steigen begann, nahm Gracie rasch die
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