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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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damit gerechnet, in seinen Augen Verständnis dafür zu sehen, Mitgefühl, als wären er und Narraway einander in gewisser Hinsicht gleich.
    Gracie spürte das Unbehagen, das in der Luft lag, sah die Blicke, die getauscht wurden, und bekam Angst. Unwillkürlich wandte sie sich an Tellman. »Sags’ du’s dem, Samuel?« Ihre Stimme klang ein wenig zittrig und unsicher.
    Er sah sie liebevoll an, doch lag in seinem Blick keinerlei Zaudern. »Außer mir kommt keiner dafür infrage«, sagte er. »Er wird uns nicht schaden. Ich habe ihm nichts getan – jedenfalls weiß er nichts davon«, fügte er kläglich hinzu.
    »Sei nich dumm!«, fuhr sie ihn an. »Der weiß genau, auf welcher Seite du stehs’! Da is es dem egal, ob er ’s beweis’n kann oder nich, der will sich einfach an jemand schadlos halt’n, un da komms’ du ihm grade richtig.« Sie wandte sich an Pitt. »Mr Pitt, Sie müss’n ihm sag’n, dass er’s nich tun soll. Das geht nich. Se könn’n nich …«
    »Die Sache ist für alle gefährlich«, unterbrach Narraway sie. »Er ist der Einzige, dem Wetron Glauben schenken wird. Wenn wir nichts unternehmen, würden wir Voisey den Sieg überlassen. Vergessen Sie nicht, dass er sich in dem Fall an dieser Familie rächen wird.« Die umfassende Handbewegung, die er machte, schloss sie mit ein. »Es wird nicht lange dauern, bis er erfährt, dass Pitt noch lebt. Dann wird ihm niemand mehr in den Arm fallen können.«
    Gracie funkelte ihn an, doch erstarben ihr die aufbegehrenden Worte auf den Lippen.
    »Das wird schon gut«, versicherte ihr Tellman. »Uns bleibt ohnehin keine Wahl. Mr Narraway hat Recht. Wenn wir Voisey so viel Macht überlassen, nimmt er sich als Nächstes uns vor.«
    Sie lächelte ihm trübselig zu. In ihrem Blick mischten sich Stolz und Angst. Sie presste die Lippen so fest zusammen, dass man nicht sehen konnte, ob sie zitterten.
    Narraway nickte Tellman zu. »Ich kann es Ihnen nicht befehlen, aber wie Sie selbst sagen, sind Sie der Einzige von uns, der es tun kann.«
    »Ja, Sir«, bestätigte Tellman.
    Vespasia sah zu Narraway hin. »Und wenn Wetron sich Voiseys auf welche Weise auch immer entledigt – oder im Gegenteil Voisey sich seiner entledigt –, was sollen wir dann Ihrer Ansicht nach mit dem tun, der übrig bleibt?«
    »Das kommt darauf an, welcher der beiden es ist«, erwiderte er.
    »Das ist keine Antwort, Mr Narraway.« Sie sagte das leichthin, aber ihr Blick war hart.
    Er lächelte. »Ich weiß.«
    Pitt rutschte ein wenig auf seinem Stuhl vor.
    Vespasia wandte sich ihm zu. »Thomas?«
    »Wetron kann Voisey unmöglich vor Gericht bringen«, sagte er zu ihr gewandt, doch war klar, dass er zu allen sprach. »Er wird einen Weg finden, sich Voisey vom Hals zu schaffen und dabei an seine eigene Sicherheit zu denken. Höchstwahrscheinlich wird das nicht ohne Gewalttätigkeit abgehen.«
    Vespasia sah zu Charlotte hin, um die sie sich sorgte, und erkannte die Angst auf ihren Zügen. Dann blickte sie zu Narraway und begriff. Sofern er absichtlich nichts gesagt hatte, lag es an dem weicheren Teil seines Wesens, den sie einen flüchtigen Moment lang gesehen und nicht sofort erkannt hatte.
    Narraway forderte Tellman auf, Pitt umgehend Bericht zu erstatten. »Halten Sie sich nicht zurück. Wenn das Mitgefühl Sie packen sollte, denken Sie einfach an die Toten in der Scarborough Street.«
    Vespasia sah den Widerwillen auf Tellmans Zügen. »Denken Sie nicht an die Scarborough Street«, sagte sie. »Diesen Menschen kann man nicht mehr helfen; sie sind bereits tot oder verkrüppelt. Denken Sie lieber an die Straße, die als nächste und als übernächste an der Reihe wäre.«
    Tellman nahm sich diese Worte zu Herzen, und bald darauf löste sich die kleine Runde auf. Er trat auf die Straße hinaus und ging rasch bis zur Tottenham Court Road. Dort hielt er die erste Droschke an, die er sah, und ließ sich zur Bow Street fahren. Falls er sich Zeit nahm, nachzudenken, würde er möglicherweise die Spontaneität einbüßen, das Hochgefühl, das ihm die Besprechung in der Küche des Hauses in der Keppel Street vermittelt hatte. Ganz davon abgesehen gab es, wie alle sehr richtig gesagt hatten, keine Zeit zu verlieren.
    Auf der Wache suchte er nach einer flüchtigen Begrüßung des Diensthabenden Wetrons Zimmer auf. Da er noch unsicher war, ob er wollte, dass andere von seinem Vorhaben erfuhren, hatte er nicht gefragt, ob der Vorgesetzte im Hause sei.
    Auf sein Klopfen ertönte ein ungeduldiges

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