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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Antwort.«
    Pitt brauchte mehr Zeit. Die ganze Geschichte kam ihm widersinnig vor. Voisey war gefährlich, er hasste Pitt und würde ihn bei der ersten Gelegenheit vernichten, die sich bot. Lediglich weil Pitt bestimmte Dinge wusste – und an geheimer Stelle Beweise dafür verborgen hielt –, hatte es Voisey bisher unterlassen, seinen Angehörigen Schaden zuzufügen. Dass er zu allem fähig war, hatte er hinreichend bewiesen: Die eigene Schwester, den einzigen Menschen auf der Welt, den er liebte, hatte er als Werkzeug zu einem kaltblütigen Mord benutzt.
    Auf der anderen Seite musste sich Pitt eingestehen, dass es äußerst gefährlich wäre, wenn Wetron die Bedrohung durch die Anarchisten dazu nutzte, noch mehr Macht an sich zu reißen. Ihm war klar, dass man etwas dagegen unternehmen musste, und das hatte Voisey erkannt.
    »Übermorgen«, sagte er. »Wo?«
    Voisey lächelte. »Für langes Nachdenken sind die Zeiten zu ernst. Bleiben wir bei morgen. Am besten an einem öffentlichen
Ort«, gab er zur Antwort. »Wie wäre es mit der Krypta der St.-Paul’s-Kathedrale. Schlag zwölf Uhr mittags, an Nelsons Grab?«
    Pitt sog die Luft tief ein. In Voiseys Augen sah er, dass dieser fest mit seiner Zustimmung rechnete. Er nickte. »Ich komme.« Dann wandte er sich um und ging, überquerte die Straße und ließ Voisey allein am Fluss zurück, der hell im Sonnenschein hinter ihm glänzte.

KAPITEL 4
    Ohne die Freude, die er sonst bei seiner Heimkehr empfand, schloss Pitt die Tür des Hauses in der Keppel Street auf. Voisey hatte sie ihm verdorben. Würde er dessen Namen auch nur erwähnen, würde Charlotte sich augenblicklich an alles vergangene Elend, alle frühere Gewalttätigkeit erinnern. Es wäre entsetzlich selbstsüchtig von ihm, ihr von seiner Begegnung mit ihm zu berichten, nur um nicht auf sich allein gestellt abwägen, seine Entscheidung nicht allein fällen zu müssen.
    Er trat ein und zog sich die Schuhe aus. Jedes Wort über Voisey wäre ohnehin überflüssig, sofern er zu dem Ergebnis kam, dass er nicht bereit war, ein Bündnis mit ihm einzugehen. Sollte er aber das Angebot des Mannes annehmen, wäre es weit besser, wenn Charlotte nichts von der Sache wüsste. Gewöhnlich teilte er ihr alles Wichtige mit. Das hielt er so, seit sie einander im Zusammenhang mit einem Mordfall kennen gelernt hatten. Sie war aufmerksam, klug und durchschaute Frauen auf eine Weise, wie ihm das nie möglich wäre. Noch wichtiger aber war es bei seinen Nachforschungen in vielen Fällen gewesen, dass sie die höheren Kreise bis in alle Feinheiten kannte, was einem Außenstehenden nie möglich sein würde – schließlich stammte sie selbst aus dieser Gesellschaftsschicht. Häufig hatten ihn Dinge, die ihr aufgefallen waren, auf einen wesentlichen Gesichtspunkt hingewiesen, ein Motiv, ein Gedankenmuster, etwas, das anders war, als man hätte erwarten sollen.
    Doch gelegentlich verschwieg er ihr dies und jenes, und die Frage, ob es notwendig sein würde, mit Voisey zusammenzuarbeiten, gehörte, wie er fand, unbedingt in diese Kategorie. Dabei hatte er sich noch nicht einmal entschieden. Er hatte den Impuls abzulehnen. Alles in ihm sprach sich dagegen aus.
    Leise ging er durch den Flur zur Küche. Er sah, dass dort Licht brannte, und hörte das Klappern von Geschirr.
    Jedes Mal, wenn er im Begriff stand, den Gedanken an eine Zusammenarbeit mit Voisey von sich zu weisen, trat ihm Wetrons leidenschaftsloses, glattes Gesicht vor das innere Auge, und er begriff, dass Voisey in Bezug auf diesen Mann Recht hatte. Zwar fiel der nicht besonders große oder kräftige Wetron mit seinem Dutzendgesicht, in dem lediglich die unerbittlichen Augen und die scharfe Linie seines schmalen Mundes hervorstachen, in keiner Weise auf, doch brannte er vor Ehrgeiz, und so war es ohne weiteres möglich, dass er in der Tat das höchste Amt in der Polizei anstrebte und das Gesetz in die eigenen Hände nehmen wollte. Das gäbe ihm eine nahezu grenzenlose Möglichkeit zur Korruption. Vielleicht bestand in einer Zusammenarbeit mit Voisey tatsächlich die einzige Möglichkeit, das zu verhindern.
    Allerdings würde er dem Mann keinesfalls über den Weg trauen. Doch konnte er ihn überhaupt benutzen, und sei es nur zu diesem einzigen Zweck? So viel stand auf dem Spiel, dass es das Risiko wert zu sein schien, genauer gesagt: Der mögliche Verlust war zu groß, als dass man es nicht auf den Versuch ankommen lassen müsste.
    Er öffnete die Küchentür und trat ein. Das

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