Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
ein wenig gebogenen langen Nase nicht unbedingt als gut aussehend bezeichnen konnte, wirkte er doch eindrucksvoll. Mit seinen Augen, in denen eine wache Intelligenz lag, sah er Pitt leicht belustigt an.
»Guten Abend, Sir Charles«, gab Pitt zur Antwort und stellte überrascht fest, dass ihm ein wenig beklommen zumute war. Diese Begegnung konnte kein Zufall sein.
»Sie zu finden ist gar nicht so einfach«, fuhr Voisey fort, während er neben Pitt herging, der sich wieder auf den Weg gemacht hatte. »Ich vermute, dass der Sprengstoffanschlag in der Myrdle Street Sie ganz schön in Bewegung hält.«
»Sind Sie mir etwa gefolgt, um mir das zu sagen?«, fragte Pitt ein wenig gereizt.
»Das war nur die Einleitung«, gab Voisey zurück. »Vielleicht war sie überflüssig. Ich möchte mit Ihnen über diese Sache sprechen.«
»Falls es Ihre Absicht ist, mich dafür zu gewinnen, dass die Polizei bewaffnet werden soll, vergeuden Sie Ihre Zeit«, sagte Pitt kurz angebunden. »Sie verfügt über Schusswaffen, die sie einsetzen kann, wenn es nötig ist. Auch braucht sie keine weiter gehenden Vollmachten als bisher. Es hat Jahrzehnte gedauert zu erreichen, dass die Bevölkerung ihre Arbeit unterstützt, und genau damit wäre es dann vorbei. Sie sehen, ich bin nicht dafür und durchaus bereit, mit allen Kräften dagegen zu kämpfen.«
»Wirklich?« Voisey machte einen raschen Schritt zur Seite und wandte sich ihm mit gespielt weit aufgerissenen Augen zu.
Pitt, der dadurch genötigt war, ebenfalls stehen zu bleiben, sagte: »Ja!«
»Und es besteht keine Aussicht, dass Sie Ihre Ansicht ändern könnten, beispielsweise, wenn man Sie unter Druck setzte?«
»Auf keinen Fall. Hatten Sie die Absicht, mich unter Druck zu setzen?«
»Auf keinen Fall«, sagte Voisey seinerseits und zuckte leicht die
Achseln. »Im Gegenteil höre ich mit großer Erleichterung, dass Sie sich nicht umkrempeln lassen, ganz gleich, ob man Ihnen droht oder Sie bittet. Ich hatte von Ihnen zwar nichts anderes erwartet, bin aber trotzdem erleichtert.«
»Was wollen Sie?«, fragte Pitt ungeduldig.
»Eine vernünftige Unterhaltung«, sagte Voisey mit gesenkter Stimme und von einem Augenblick auf den anderen sehr ernst. »Es gibt wichtige Dinge, bei denen wir einer Meinung sind. Mir ist dies und jenes bekannt, wovon Sie möglicherweise nichts wissen.«
»Da Sie im Unterhaus sitzen, ist das nicht weiter verwunderlich«, gab Pitt mit einer gewissen Schärfe in der Stimme zurück. »Aber wenn Sie glauben, dass ich Ihnen Dienstgeheimnisse des Staatsschutzes mitteile, sind Sie auf dem Holzweg.«
»Dann halten Sie den Mund, und hören Sie mir zu!«, fuhr ihn Voisey an, der mit einem Mal alle Geduld verloren zu haben schien. Eine plötzliche Röte war ihm ins Gesicht gestiegen. »Ein Hinterbänkler namens Tanqueray will einen konkreten Gesetzesantrag mit dem Ziel einbringen, alle Angehörigen der Londoner Polizei zu bewaffnen und ihnen größere Vollmachten zur Durchsuchung und Beschlagnahme zu geben. Wie die Dinge im Augenblick liegen, hat er gute Aussichten, damit durchzukommen. Aber es gibt noch etwas weit Wichtigeres.«
Auch wenn sich Pitt keine Mühe gab, seine Ungeduld zu verbergen, war er doch neugierig geworden. Es war klar, dass Voisey etwas von ihm wollte, und zwar sehr dringend, sonst hätte er sich nicht über seine Abneigung Pitt gegenüber hinweggesetzt, um ihm zu folgen und ihn anzusprechen. »Ich höre«, sagte Pitt.
Voiseys Gesicht war jetzt bleich, seine Kiefermuskeln angespannt. Sie standen einander im Schein der Abendsonne gegenüber und spürten den Wind, der von der Themse zur Uferstraße herüberwehte, nahmen beides aber ebenso wenig bewusst wahr wie die Passanten, das Gelächter, die Musik und den trägen Wellenschlag der steigenden Flut gegen die Stufen unter ihnen. Voisey sah Pitt fest in die Augen und sagte: »Wetron ist entschlossen,
den Antrag zu unterstützen. Er baut auf die Angst der Bevölkerung. Jedes weitere Verbrechen, das geschieht, wird ihm in die Hände spielen. Er wird dafür sorgen, dass seine Leute untätig bleiben, bis sich niemand mehr sicher fühlen darf. Die Polizei wird tatenlos allen Übergriffen zusehen, ganz gleich, ob es um Raubüberfälle, Einbrüche, Brandstiftung oder vielleicht sogar noch weitere Sprengstoffanschläge geht. Damit verfolgt Wetron die Absicht, die Bevölkerung so sehr in Angst und Schrecken zu versetzen, dass man ihn förmlich auf Knien bitten wird, seine Polizisten zu bewaffnen, mehr Leute
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