Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
negativ klingenden Kommentar. »Andererseits verlangt eine ganze Anzahl wohlhabender Bürger von den Vertretern ihrer Wahlkreise, sie sollen dafür sorgen, dass auf den Straßen Frieden herrscht und sich jeder zu Hause sicher fühlen kann. Sie sprechen sich für schärfere Gesetze aus und sagen, die Polizei könne nur dann etwas gegen das Verbrechen unternehmen, wenn man ihr die Macht und die Waffen gibt, die sie braucht.« Sie sah Charlotte aufmerksam an. »Einer der schärfsten Gegner des Antrags ist Charles Voisey. Er argumentiert geradezu brillant dagegen, sagt Jack.«
»Oh.« Charlottes Gedanken jagten sich. Sie musste an eine finstere Nacht in Dartmoor denken, in der sie, Gracie und die Kinder mit Tellmans Unterstützung Hals über Kopf aus dem dort gemieteten Häuschen hatten fliehen müssen. Dann kamen ihr lange Abende in Erinnerung, die sie allein in der Keppel Street verbracht hatte, während sich Pitt in Whitechapel aufhielt, ohne dass sie eine Vorstellung gehabt hätte, wann oder ob er zurückkehren würde. Er hatte dort in einer geheimen Wohnung hausen müssen und war auf der Suche nach einem Mörder nächtens im bleichen Schein der Gaslaternen durch die Schatten der dunklen Gassen gezogen. All das war Voiseys Werk gewesen, der Pitt mit einem abgrundtiefen Hass verfolgte. Sie verstand gut, warum er diesen Kampf im Unterhaus führte, und sei es nur, um seinen Widersacher Wetron an der Durchsetzung seiner Ziele zu hindern.
»Er ist nicht unbedingt der Verbündete, den ich mir gewünscht
hätte«, sagte Charlotte mit spöttischem Lächeln, »vielleicht aber ist er besser als keiner.«
»Mir wären andere auch lieber.« Emily sah sie aufmerksam an. Offensichtlich empfand sie mit ihrer Schwester, auch wenn sie nicht im Detail wusste, was diese durchlitt, da sie die Geschichte nicht in allen Einzelheiten kannte. »Übrigens ist seine Schwester, Mrs Cavendish, wieder in den Salons aufgetaucht. Es heißt sogar, dass sie noch einmal heiraten wird, und zwar ziemlich gut. Das aber nur nebenbei. Ich will versuchen, mehr über die betreffenden Abgeordneten herauszubekommen. Weißt du, manchmal wünschte ich, wir Frauen hätten das Wahlrecht, dann müssten die Männer mehr auf uns hören.«
»Darauf zu warten können wir uns kaum leisten!«, gab Charlotte zurück. »Wir sollten unbedingt gleich überlegen, auf wessen Hilfe wir bauen können.«
Sie dachten eine Weile nach, machten Vorschläge, die sie teils gleich wieder verwarfen, teils beibehielten. Dies gemeinsame Pläneschmieden, bei dem sie sich ihrer Schwester menschlich verbunden fühlte, hatte Charlotte gefehlt.
Um die Mittagszeit hörten sie Schritte, und einen Augenblick später stand Jack in der Tür. Er war offenkundig überrascht, seine Schwägerin dort anzutreffen. Man sah ihm an, dass er Sorgen hatte.
Emily stand rasch auf. In der Art, wie sie sich ihm zuwandte und ihn begrüßte, lag eine Fürsorglichkeit, die Charlotte nicht an ihr kannte, zugleich aber auch unübersehbare Furcht.
»Wir haben gerade über das Polizeigesetz gesprochen«, sagte Charlotte, um ihre Anwesenheit zu erklären. »Thomas ist davon sehr betroffen.«
»Ich weiß«, sagte Jack. »Er war am frühen Vormittag bei mir. Leider konnte ich ihm keine besonderen Hoffnungen machen.« Er ließ sich im dritten der bequemen Sessel mit den groß geblümten Bezügen nieder, wirkte aber alles andere als entspannt. Etwas schien ihn zu bedrücken, und es sah aus, als beunruhige es ihn, dass Emily nicht allein war.
Emily stand in der Mitte des Raumes. Das Sonnenlicht malte helle Flecke auf den Teppich und das polierte Holz des Dielenbodens um ihn herum. Die späten Tulpen dufteten in der Hitze des Tages betäubend.
»Wir waren gerade dabei, uns zu überlegen, wer im Kampf dagegen hilfreich sein könnte. Da ist uns der eine oder andere Name eingefallen.«
Mit finsterer Miene sagte Jack: »Es wäre mir lieber, du würdest dich da heraushalten. Ich weiß deine Hilfe immer zu schätzen, aber diesmal bitte nicht.« Auf ihr Gesicht trat ein Ausdruck von Zorn und Unbehagen, und er sah, wie sie unwillkürlich eine feindselig wirkende Haltung einnahm. »Das wird kein Spaziergang«, versuchte er zu erklären. »Die Leute haben Angst. Edward Denoon hat alle möglichen Schreckensbilder von Gewalttaten an die Wand gemalt, so, als wäre jeder von uns in Gefahr, einem Sprengstoffanschlag zum Opfer zu fallen, nur weil die Polizei noch nicht weiß, wer diese Anarchisten sind.«
»Man wird sie
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