Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
die Menschen gefährlich. Tanqueray, der das Gesetz mit aller Gewalt durchboxen will, ist eigentlich eine Null; andere haben ihn vorgeschoben. Hinter der Initiative steckt eine mächtige Gruppe, die entschlossen ist, kurzen Prozess mit jedem zu machen, der sich ihr in den Weg stellt.«
Fast hätte Charlotte gelächelt, unterdrückte dann aber den Impuls. Hielt Emily etwa die Auseinandersetzungen, denen sich Pitt immer wieder stellen musste, für ungefährlich? Glaubte sie womöglich, dass er dabei nichts zu verlieren hatte? Wie es aussah, war es für sie das erste Mal, dass sie nachts allein wach im Bett lag, krank vor Angst um jemanden, den sie liebte, und ohne eine Möglichkeit, ihm zu helfen, so sehr sie das auch wünschte. Charlotte kannte das längst, hätte allerdings nicht sagen können, dass sie sich daran gewöhnt hatte. Leicht war es nie.
»Weißt du, wer zu den Befürwortern des Antrags gehört?«, fragte sie. Von den Gefahren wollte sie erst sprechen, wenn sie sicher war, dass sie ihren eigenen Zorn hinlänglich zügeln konnte.
»Ich könnte dir ein Dutzend Namen nennen!«, sagte Emily sogleich. »Einige haben sehr hohe Ämter und würden keine Sekunde zögern, Jack oder jeden anderen ins Messer laufen zu lassen, der ihre Pläne zu durchkreuzen versucht. Was sagt Thomas dazu? Möchte er, dass die Polizei Schusswaffen bekommt? Jack behauptet, dein Mann sei dagegen, aber vielleicht sieht er ja die Dinge nach der Schießerei in der Long Spoon Lane anders.«
Charlotte biss sich auf die Lippe. Eigentlich hatte sie nicht sagen wollen, dass er überhaupt nicht mit ihr über diese Angelegenheit sprach, sie völlig von dieser Sache ausschloss, doch schien es ihr fast unmöglich, das jetzt noch für sich zu behalten. Immerhin verstand sie Emilys Angst nur allzu gut. Auch in dieser Situation mussten sie zusammenhalten.
»Er ist nach wie vor dagegen«, sagte sie leise und sah Emily offen an. »Außerdem beschäftigt ihn irgendetwas weit mehr, als er mir sagt. Ich glaube, das tut er nicht nur wegen der damit verbundenen Gefahr, sondern weil er traurig ist und sich schämt.«
»Weshalb schämt er sich denn?«, fragte Emily überrascht.
»Es hat nichts mit ihm selbst zu tun«, verbesserte sich Charlotte rasch. »Er schämt sich für die Polizei. Er hat gesagt, man erhebe Korruptionsvorwürfe gegen sie, und ich vermute, dass es schlimmer ist, als er zugibt. Er hat so gut wie niemanden, dem er trauen kann.«
»Korruption bei der Polizei!«, stieß Emily hervor. Jetzt war die letzte Spur von Gelassenheit aus ihrem Gesicht verschwunden. »Kein Wunder, dass Jack der Gedanke, ihr Waffen in die Hand zu geben, zuwider ist. Wenn er das im Unterhaus als Argument vortragen könnte …«
»Auf keinen Fall!« Abwehrend hielt ihr Charlotte die erhobene Hand entgegen, als könne sie sie damit zurückhalten. »Vergiss nicht, dass Wetron Leiter der Wache in der Bow Street ist. Wenn zum Beispiel der Innere Kreis hinter der Sache steckt, wäre zwangsläufig auch der eine oder andere Parlamentarier in sie verwickelt.«
Emilys Gesichtsmuskeln spannten sich an. »Die Leute vom Inneren Kreis wollten, dass sich Jack ihnen anschließt. Hast du das gewusst? Er hat abgelehnt.« Sie schluckte. »Manchmal wünschte ich, er säße nicht im Unterhaus. Dann könnte er in aller Seelenruhe und völlig gefahrlos irgendeinen freien Beruf ausüben.« Das Geständnis schien ihr peinlich zu sein, denn Charlotte sah, dass sie sich auf die Lippe biss.
»Wäre es dir tatsächlich lieber, wenn er anders wäre, als er ist?«, fragte sie. Dann lächelte sie halbherzig, als sie an ihre eigene Schwäche denken musste. »Mir geht es übrigens mitunter ebenso. Oft denke ich, wenn Thomas ein einfacher Polizist geblieben wäre und nur tun müsste, was man ihm sagt, hätte er keine Entscheidungen zu treffen brauchen, die anderen nicht recht sind, und er wäre nicht ständig gefährdet. Natürlich wären wir ärmer.
Dir würde es nichts ausmachen, wenn Jack es nicht weit gebracht hätte, denn du hast genug geerbt – was aber ist mit Jack? Ihm wäre das bestimmt schrecklich zuwider.«
»Ich weiß, ich weiß«, gab Emily zu und senkte den Blick. »Es spielt ohnehin keine Rolle, wie wir die Dinge gern hätten. Wir müssen uns ihnen stellen, wie sie sind. Im Übrigen widersetzen sich einige gute Leute dem Antrag – Somerset Carlisle gehört selbstverständlich dazu.« Sie nannte ein halbes Dutzend weiterer Namen, jeweils mit einem knappen, bisweilen ein wenig
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