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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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seine Füße schmerzten. Außerdem hatte er zwei Tage lang nichts Warmes gegessen. Bei der Vorstellung, dass Piers Denoon im Haus seiner Eltern in der Queen Anne Street ein dampfend heißes Bad nahm, überkam ihn Bitterkeit.
    Er wusste, wo sich das Haus befand; er hatte es gleich am ersten Abend aufgesucht, angeblich, um dort eine Mitteilung zu hinterlassen. Der Lakai hatte ihm mitgeteilt, der junge Herr sei nicht im Hause.
    Auch an diesem zweiten Abend war er nicht da. Weil Tellman aber nicht wusste, wo er sonst suchen könnte, brachte er den größten Teil des Abends damit zu, im kalten Wind auf der anderen Straßenseite zu stehen. Immer wieder fragte er sich, wie lange er das noch aushalten würde und ob es sich überhaupt lohne.
    Zweimal wollte er aufgeben und ging ans Ende der Straße, um sich in Richtung Cavendish Square auf den Heimweg zu machen, überlegte es sich dann aber anders und nahm sich vor, eine weitere Viertelstunde zu warten.
    Um halb elf hielt drei Häuser weiter eine Droschke, aus der ein schlanker, geradezu dürrer, junger Mann stieg. Er schien so unsicher auf den Beinen zu stehen, dass er bei den ersten Schritten fast in eine Straßenlaterne gelaufen wäre, wenn er nicht in allerletzter Sekunde die Richtung geändert hätte. Er war unrasiert und sah ziemlich mitgenommen aus. Seine schmutzige Kleidung war nicht nur unverkennbar gut geschnitten, sondern ganz offenkundig nach Maß gemacht. Er verschwand erneut im Schatten, und Tellman rührte sich erst, als er das Haus der Familie Denoon über einen Seitenweg ansteuerte. Offenbar wollte er es durch den Lieferanteneingang betreten.
    Wie von der Sehne geschnellt eilte ihm Tellman über die
Straße und die Stufen zum Lieferanteneingang hinab nach. Er erreichte den Mann gerade, als dieser im Begriff war, die Tür aufzuschließen.
    »Mr Denoon!«, sagte er eindringlich.
    Piers zuckte zusammen, als hätte Tellman seinen Namen laut herausgeschrien, dann fuhr er herum und drückte sich mit dem Rücken an die Tür. »Wer sind Sie?«, fragte er.
    Tellman hatte sich seine Worte zurechtgelegt. »Ich bin gekommen, um Sie zu warnen«, sagte er ruhig. »Nicht um Ihnen zu drohen!«, fügte er hinzu. Im Schein der Lampe über der Tür wirkte der junge Mann abgezehrt und genau so überdreht, wie es Stace beschrieben hatte. Er war ersichtlich nur noch ein Nervenbündel. »Den Polizeibeamten, die im Zusammenhang mit dem Anschlag in der Myrdle Street ermitteln, ist bekannt, dass Sie das Geld für den Sprengstoff beschafft haben«, fuhr Tellman fort.
    Piers sah ihn mit aufgerissenen Augen an, offenkundig entschlossen, ihm nicht zu glauben. Die Angst in seinem Gesicht war so ausgeprägt, dass sich Tellman ein wenig schuldbewusst fühlte. Doch jetzt konnte er sich keine Schwäche leisten.
    »Man hat die beiden verhört, die sie gefasst haben, Welling und Carmody«, sagte er eindringlich. »Einer von ihnen hat wohl geredet. Sie müssen vorsichtig sein und die Leute warnen, von denen Sie das Geld bekommen haben.«
    »Sie warnen?«, fragte Piers mit stockendem Atem. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen.
    »Nun, ich kann das nicht tun«, sagte Tellman. »Aber warten Sie nicht damit. Die Polizei ist schnell.« Genügte das? Würde das Piers Denoon dazu veranlassen, die Hintermänner der Anarchisten aufzusuchen? Würde er damit den Beweis in die Hände bekommen, den Pitt brauchte?
    »Ich habe verstanden«, sagte Piers leise. Er war aschfahl. Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, als sei er krank.
    Tellman nickte. »Gut, also tun Sie es.« Er wandte sich um, stieg die Stufen zum Gehweg empor und ging davon. Erst ein halbes Dutzend Häuser weiter blieb er stehen, damit er weit
genug fort war, falls ihm Piers nachgesehen hatte. Dann überquerte er die Straße, ging die Stufen zum Lieferanteneingang eines Hauses hinab, in dem kein Licht brannte, und wartete.
    Vierzig Minuten später belohnte ihn der Anblick von Piers Denoon, der wieder die Treppe emporkam. Offensichtlich hatte er sich rasiert und umgezogen. Mit raschem Schritt ging er in Richtung Westen zum Cavendish Square. Tellman eilte ihm nach und holte ihn in dem Augenblick ein, als er eine Droschke bestieg.
    Fluchend sah er sich nach einer weiteren Droschke um. Es war spät und kalt, und der Platz lag nahezu vollständig verlassen da. Er lief auf die Regent Street zu und sah mit großer Erleichterung eine Droschke, die langsam in die Gegenrichtung fuhr. Er rannte ihr nach, wagte aber den Kutscher erst anzurufen, als

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