Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
er sie eingeholt hatte. Auf keinen Fall wollte er auf sich aufmerksam machen. Er stieg ein und forderte den Mann auf, rasch zu wenden und der anderen Droschke zu folgen.
Es war eine aufregende Fahrt. Zweimal verlor er Piers Denoon aus den Augen, stieß aber schließlich wieder auf ihn. Als dieser etwa in der Mitte der Great Sutton Street in Clerkenwell ausstieg und seinen Kutscher bezahlte, ließ Tellman zwanzig Schritt weiter anhalten und sah, wie Piers, nachdem er sich vorsichtig in alle Richtungen umgesehen hatte, am Haus mit der Nummer siebenundzwanzig klingelte.
Tellman nannte seinem Kutscher die Keppel Street als neues Fahrtziel und merkte dabei, dass seine Stimme rau und sein Mund ausgedörrt war. Schweiß lief ihm am Körper herunter, und er fror, als ob die Luft eisig sei.
Es war nach Mitternacht.
KAPITEL 7
Pitt wurde davon wach, dass Charlotte leise und unüberhörbar beunruhigt auf ihn einsprach: »Thomas, da ist jemand an der Haustür.«
Er versuchte, sich aus den Tiefen des Schlafs herauszukämpfen. Im Zimmer war es dunkel. Kaum dass er Charlottes Schatten sehen konnte; eher spürte er ihre Nähe durch die Wärme ihres Körpers. Dann hörte er gedämpft ein Geräusch, das aus dem Erdgeschoss heraufdrang: Jemand schien beharrlich an die Tür zu klopfen.
»Ich seh’ mal nach«, sagte er. Beruhigend legte er Charlotte die Hand auf die Schulter und spürte ihre weiche Haut. Er stieg aus dem Bett, tastete nach dem Kerzenhalter und fand im dürftigen Licht der Kerze Hose und Jackett. Sollte es nötig sein, das Haus zu verlassen, würde er zurückkommen und sich vollständig anziehen. Seine Taschenuhr auf der Kommode zeigte Viertel vor eins.
Das Klopfen hatte aufgehört. Wer auch immer an der Tür war, hatte wohl den Lichtschimmer durch den Vorhangspalt gesehen und rechnete damit, dass bald jemand kommen würde.
Pitt drehte die winzige Flamme der Gaslampe auf dem Treppenabsatz höher, eilte barfuß hinab und öffnete. Vor der Tür stand Tellman. Im schwachen Licht, das aus der Diele kam, wirkte er bleich und erschöpft.
»Kommen Sie herein«, sagte Pitt leise. »Was gibt es?«
Tellman trat ein, und Pitt schloss die Tür. Bei genauerem Hinsehen
merkte er, dass der Mann grauenvoll aussah. Sein Gesicht wirkte gequält. Die Haut war teigig, die eingefallenen Wangen waren mit Bartstoppeln bedeckt, und die Augen lagen tief in ihren Höhlen.
»Was gibt es?«, wiederholte Pitt seine Frage. »Muss ich mich gleich ausgehfertig machen, oder haben wir Zeit für eine Tasse Tee?«
Tellman zitterte leicht. »Wir müssen nirgendwo hin«, sagte er. »Jedenfalls nicht sofort.«
Wortlos wandte sich Pitt um und ging Tellman voraus in die Küche. Kalt spürte er den Dielenboden unter den Füßen, obwohl dieser etwas wärmer war als der im Flur. Da die Nacht noch nicht sehr weit fortgeschritten war, würde es ihm vielleicht gelingen, das Feuer im Herd wieder in Gang zu bringen, ohne ihn vollständig ausräumen und umständlich Feuer machen zu müssen.
Als Erstes entzündete er die Gaslampe. »Setzen Sie sich«, forderte er den Besucher auf. »Ich gehe nach oben und sage meiner Frau, dass Sie es sind, dann mache ich uns Tee.«
Tellman ließ sich das nicht zweimal sagen und setzte sich.
Schon bald kehrte Pitt zurück, nachdem er noch rasch ein Hemd und Socken angezogen hatte. Er befreite die Glutreste im Herd von der Ascheschicht, legte Anmachholz darauf und wartete, bis es brannte. Dann gab er Kohlen hinzu, schloss die Ofentür, füllte den Wasserkessel und setzte ihn auf. Im Korb neben dem Herd streckten sich die Kater Archie und Angus, rollten sich erneut zusammen und schliefen wieder ein.
»Was ist passiert?«, fragte Pitt und nahm Tellman gegenüber Platz. Bis das Wasser siedete, würde es eine Weile dauern.
Tellman schien sich ein wenig zu entspannen. Es kam ihm vor, als habe er in dieser Küche, in der Gracie arbeitete und in der er und Pitt so häufig beieinander gesessen hatten, zum ersten Mal seit seiner Kindheit eine Art Heimat gefunden.
»Ich weiß nicht, wie lange man Taschen-Jones festhalten wird«, sagte er und biss sich auf die Lippe. »Es wäre besser, wenn
Sie rasch handeln könnten, denn falls die Korruption tatsächlich so schlimm ist, wie wir befürchten, ist es denkbar, dass man das Beweismaterial gegen den Mann einfach verschwinden lässt.« Er sah Pitt betrübt an.
»Wie lautet der Tatvorwurf?«, fragte Pitt, der noch nicht wusste, auf welche Weise Tellman Jones festgesetzt hatte. »Und
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