Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Umständen ist ihm nicht aufgegangen, dass ›verbrannt‹ und ›gefroren‹ letzten Endes auf dasselbe hinausläuft, wenn es darum geht, ein Heer mit lebensnotwendigen Gütern zu versorgen.«
Voiseys Augen weiteten sich, leiser Spott blitzte in ihnen auf. »Wissen Sie, Pitt, fast könnte ich Sie mögen und vergessen, wie ich zu Ihnen stehe. Kaum denke ich, wie leicht berechenbar Sie sind, da kommen Sie her und überraschen mich.«
»Die Auffassung, Menschen berechnen zu können, ist außerordentlich überheblich«, merkte Pitt an. »Überheblichkeit aber
ist gleichbedeutend mit Dummheit und hat bisweilen tödliche Folgen. Das können wir uns nicht leisten.«
»Im einen Augenblick sind Sie ein Langweiler«, fuhr Voisey fort, als habe Pitt nichts gesagt, doch die Art, wie er sich dabei vorbeugte, zeigte seine innere Spannung an. »Im nächsten beweisen Sie einen erstaunlichen Scharfblick, und gleich darauf sind Sie so selbstgefällig, dass es an Schwachsinn grenzt! Vielleicht hängt das mit Ihrer Mischung aus halb Wildhüter und halb Möchtegern-Landedelmann zusammen.«
Pitt zwang sich zu einem Lächeln. Das fiel ihm nicht leicht. Die beleidigende Anspielung auf seine Herkunft schmerzte. Warum hielt es Voisey für nötig, ihn so scharf anzugreifen, dass er dabei sogar die sonstige Selbstbeherrschung verlor? Was an Pitt brachte ihn so auf?
»Was hat Wellingtons Politik der verbrannten Erde im Spanischen Unabhängigkeitskrieg überhaupt mit Wetron, den anarchistischen Attentätern oder Simbister und Denoon zu tun?«, fragte Pitt erwartungsvoll. »Oder wollten Sie nur feststellen, ob ich in Militärgeschichte ebenso bewandert bin wie Sie?«
Der Ausdruck einer Reihe von Empfindungen trat nacheinander auf Voiseys Gesicht: Wut, Überraschung, Verwirrung. Dann begann er unvermittelt, herzlich zu lachen.
Pitt musste sich mahnen, nicht zu vergessen, dass ihn Voisey hasste. Im Auftrag dieses Mannes war Mr Wray umgebracht worden, ein gütiger alter Geistlicher, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Auch hatte Voisey mit eigenen Händen Mario Corena getötet, weil er unter den Umständen keine andere Möglichkeit gesehen hatte, seine eigene Haut zu retten. Bei Dutzenden Untaten, die auf Habgier und Vernichtungswillen zurückgingen, war er der Drahtzieher gewesen. Er mochte witzig sein und menschliche Züge besitzen, er mochte die Fähigkeit haben, zu lachen oder verletzt zu reagieren, nichts von alldem hatte etwas zu bedeuten. Es kam einzig und allein auf seinen Hass an, und falls Pitt das in einem unbedachten Augenblick vergaß, konnte ihn das alles kosten, was er hatte.
Wenn er Voiseys Lachen und Verletzlichkeit als nebensächlich ansah, bestand auf der anderen Seite die Möglichkeit, dass er ihm einen noch umfassenderen Sieg über sich erlaubte, bis hin zur Zerstörung des Innersten seiner eigenen Persönlichkeit. War das vielleicht das eigentliche Ziel dieses Mannes?
Voisey sah ihn aufmerksam an, versuchte in seinem Gesicht zu lesen. Er merkte, dass sich etwas veränderte, eine Entscheidung fiel, Gelassenheit sich einstellte, und er nahm es als eine Art Niederlage für sich selbst wahr.
Pitts Lächeln wirkte nicht länger gezwungen; es war entspannt. Zumindest in diesem Augenblick war es ganz und gar natürlich. Er war Herr der Lage, und beide begriffen das. »Glauben Sie, dass Wetron die Absicht hat, die Erde hinter sich zu verbrennen, wenn er sich zum Rückzug gezwungen sieht?«, fragte er.
»Ja, und zwar so, dass nichts übrig bleibt«, gab Voisey zurück. »Sind Sie etwa anderer Ansicht?«
»Das würde er nur dann tun, wenn er sicher wäre, dass er verloren hat«, sagte Pitt. »Bis dahin ist noch ein weiter Weg.«
Voisey sah ihn nach wie vor aufmerksam an. Sofern andere Besucher an den Grabmälern der Berühmtheiten vorüberkamen, merkte keiner von beiden etwas davon. »Ich bin überzeugt, dass er Oberwachtmeister Tellman mit Wonne in die Flammen werfen würde«, sagte Voisey leise. »Die Möglichkeit dazu hätte er auf jeden Fall.«
Pitt spürte, wie Kälte in ihm hochkroch. Er hätte sich denken müssen, dass Voisey zu dem Schluss kommen würde, niemand außer Tellman könne ihm über Vorgänge in der Bow Street berichten. Trotzdem versetzten ihn diese Worte in Angst.
»Natürlich«, stimmte Pitt zu. »Aber er wird mit Sicherheit kein Werkzeug zerstören, das ihm seiner Ansicht nach von Nutzen sein kann.« Ihm war wichtig, dass Voisey auch das richtig verstand.
»Gegen wen?« Voisey hob die
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