Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
klug genug ist, das zu unterlassen.«
»Wohl kaum«, gab ihm Pitt Recht. »Aber genau das ist die Schwäche des Gesetzes und nicht seine Stärke, denn es bedeutet, dass sich niemand sicher genug fühlt, um dafür zu stimmen.«
Voisey schloss die Augen. »Wie weltfremd Sie sind! Wogegen sich nichts einwenden ließe, wenn es nicht so verdammt gefährlich wäre.« Er öffnete die Augen weit. »Natürlich werden die Leute den Entwurf nicht so formulieren, Mann Gottes! Es wird selbstverständlich heißen, dass er all jene, die sich nichts zuschulden kommen lassen, nicht betrifft. Man wird schwören, das Gesetz nur gegen Leute anwenden zu wollen, die der Beteiligung an anarchistischen Umtrieben verdächtig sind. Jeder einzelne Abgeordnete im Unterhaus wird annehmen, ihm könne nichts geschehen – die einen, weil sie wissen, dass sie mit der Sache nichts zu tun haben, und die anderen, weil sie bereits mit Wetron im Bunde stehen. So weit sie dem Inneren Kreis angehören, dürften sie mit dieser Annahme auch Recht haben.«
»Sicherlich gestattet es Ihnen Ihr Wissen, dem einen oder anderen Ihrer Bekannten gegenüber durchblicken zu lassen, dass es ihnen sicher nicht lieb wäre, wenn ihre Dienstboten gewisse Einzelheiten aus ihrem Privatleben ausplaudern?«, fragte Pitt und fügte hinzu: »Und sofern Sie dies Wissen nicht besitzen, sind Sie dank Ihrer Fähigkeiten sicher imstande, es zu erwerben.«
Voisey stand einen Augenblick reglos da. Langsam verzog sich sein Mund zu einem erstaunten Lächeln. »Ich muss mich wundern, Pitt! Sie scheinen mir ein recht begabter Erpresser zu sein! Wie interessant. Ich muss gestehen, dass ich das von Ihnen nie erwartet hätte.«
»Wer Verbrechen aufklären will, muss etwas davon verstehen«, gab Pitt trocken zurück.
Voisey schob seine Hände in die Taschen. »Was Wetron angeht, war mir das schon immer klar«, sagte er. »Ich überlege nur, wieso mir das bei Ihnen nie aufgefallen ist. Ich habe den Tadel
verdient.« Mit einem Mal hob er den Blick, und sein Lächeln wurde süffisant.
Pitt begriff, dass ihn der Vergleich mit Wetron verletzen sollte. »Das kann ich Ihnen erklären: Weil der Mann an der Spitze des Inneren Kreises steht«, gab er gleichmütig zurück. »Sie brauchten ihn nur an Ihrer eigenen Person zu messen.«
Der Hieb saß. Obwohl Voisey sich getroffen zu fühlen schien, tat er die Bemerkung überraschenderweise mit einem Achselzucken ab. »Ich habe Sie unterschätzt, Pitt. Vorausgesetzt, Sie verlieren die Nerven nicht, könnten Sie tatsächlich sehr nützlich sein. Sie sind klüger, als ich Sie eingeschätzt habe. Nur Ihr unberechenbares Gewissen macht mir Sorgen.«
Mit breitem Lächeln gab Pitt zurück: »Wir alle haben vor dem Angst, was wir nicht kennen.«
Voisey knurrte ein wenig, nahm aber die Herausforderung mit Humor auf und machte sich daran, dem Ausgang zuzustreben.
Pitt drehte sich um und holte ihn ein. »Sie scheinen etwas vergessen zu haben«, sagte er.
»Und das wäre?« Voisey blieb nicht stehen.
»Als Sie mir diese … Zusammenarbeit … vorschlugen, sagten Sie, dass Sie Angaben über den Inneren Kreis beisteuern könnten. Ich denke, jetzt ist der Zeitpunkt dafür gekommen. Als Erstes wüsste ich gern, ob Sheridan Landsborough ihm angehört.«
»Nein«, sagte Voisey zögernd. »Es sei denn, er wäre im letzten halben Jahr eingetreten. Möglich ist es natürlich, doch bezweifle ich das. Er ist ein Mann mit ziemlich hohen Idealen – er hat auch so ein unberechenbares Gewissen. Kann sich nicht beherrschen.« Er sah flüchtig zu Pitt hin. »Er ist einer von der Art, die das Schlachtfeld von Waterloo verlassen hätten, um einen Hund vor dem Ertrinken zu bewahren, aber nie und nimmer, um sich aus persönlichen Gründen mit wem auch immer zu duellieren. Kurz, ein Mann, der zu nichts taugt – wir müssten jetzt alle Französisch sprechen.«
»Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass die Anarchie
nichts taugt.« Pitt passte seine Schritte denen Voiseys an. »Ich habe viel für Ideale übrig, allerdings nur dann, wenn sie sich verwirklichen lassen. Da wir gerade bei Dingen sind, die sich gut in die Tat umsetzen lassen: Bestimmt wissen Sie über einige Abgeordnete, die dem Inneren Kreis angehören, Dinge, von denen diese Männer nicht wollen, dass die Polizei davon erfährt. Sie könnten sie an diese Gefahr erinnern.«
»Mitglieder des Inneren Kreises verraten einander nicht«, sagte Voisey, als sie sich der Treppe näherten, die nach oben in den Hauptraum
Weitere Kostenlose Bücher