Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
der Kathedrale führte. »Das ist eine seiner großen Stärken – Treue über alles.«
»Das ist mir bekannt«, sagte Pitt. »Und die Strafe für Verrat ist Tod. Ich habe es gesehen. Plant das Unterhaus, dass nur dem Inneren Kreis angehörende Polizeibeamte das Recht bekommen, Dienstboten zu befragen?«
Voisey wandte sich ihm zu, trat dabei fehl und konnte das Gleichgewicht nur halten, indem er rasch nach dem Geländer griff. »Vorzügliche Anmerkung«, sagte er. »Das ist eine Waffe, deren wir uns bedienen müssen. Beim nächsten Mal treffen wir uns am Grabmal Turners.«
»Gut«, sagte Pitt. »Den mag ich.«
Voisey lächelte. »Offenbar werden Polizisten besser bezahlt, als ich dachte! Haben Sie zu Hause viele Turners an der Wand hängen? Oder haben Sie viel dienstfreie Zeit, um ins Museum zu gehen?«
»Diebstahldezernat«, gab Pitt mit einem Lächeln zurück. »Der Versuch, ein gestohlenes Gemälde aufzuspüren, ist nicht sehr aussichtsreich, wenn man das Original nicht von einer Fälschung unterscheiden kann.«
»Faszinierend«, sagte Voisey trocken. »Die Polizeiarbeit scheint viel komplexer zu sein, als ich gedacht hätte.« Oben angekommen, wich er den zahlreichen Besuchern aus.
»In dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, hing ein Turner«, fuhr Pitt fort. »Mir war er schon immer lieber als Constable. Das hängt mit der Art zusammen, wie er das Licht behandelt.
« Er lächelte Voisey zu und ging. Es stimmte: Im Hause des Landedelmannes, bei dem sein Vater Wildhüter gewesen war, hatten mehrere erstklassige Gemälde gehangen. Aber Pitt ließ Voisey lieber seine eigenen Schlüsse ziehen.
Pitt erstattete Narraway kurz Bericht, damit auch er über Piers Denoons und Simbisters Treiben im Bilde war. Allerdings rechnete er nicht damit, dass er überrascht sein würde.
»So, so, Denoon trägt also auf beiden Schultern«, sagte Narraway, räkelte sich in seinem Sessel und sah Pitt an. »Oder sollten Vater und Sohn in unterschiedlichen Lagern stehen? Jedenfalls ist das hochinteressant. Was ist mit den Landsboroughs? Haben da etwa auch Vater und Sohn in unterschiedlichen Lagern gestanden? Sheridan Landsborough war als junger Mann ausgesprochen liberal. Er besaß ein bemerkenswertes soziales Gewissen und hat sich über das seiner Ansicht nach tölpelhafte Verhalten der Regierung beschwert. Er hat behauptet, sie mische sich zu sehr in die Angelegenheiten der Bürger ein. Aber sagt man nicht, dass kein Herz hat, wer in jungen Jahren nicht liberal ist, und keinen Verstand, wer in späteren Jahren nicht konservativ ist? Wie er sich jetzt wohl verhalten mag: als gereifter Bewahrer der Ordnung oder als seniler Greis, der tatenlos zusieht, wie sich die Zügellosigkeit austobt?« Er hob die Brauen. »Als weiser Politiker, trauernder Vater, Ehemann, der zu Hause seine Ruhe haben möchte? Als Bruder, der den Sohn seiner Schwester deckt? Oder ist er einfach ein verwirrter, gekränkter alter Mann, der den Boden unter den Füßen verloren hat?«
»Ich weiß es nicht«, gab Pitt zu. »Ich war zu sehr damit beschäftigt, in der Frage der polizeilichen Korruption zu ermitteln.« Das sagte er selbstbewusst und ohne den geringsten Anflug von Zorn. Zwar lag ihm sehr daran zu erfahren, wer Magnus Landsborough getötet hatte, doch musste diese Frage einstweilen hinter der anderen Aufgabe zurückstehen. Er wusste nicht einmal, ob persönliche oder politische Gründe hinter dem Mord standen. Das wollte er als Nächstes ermitteln. Er berichtete
Narraway über Taschen-Jones und seinen Plan, beim nächsten Termin die Schutzgelder selbst einzutreiben.
Narraway setzte sich auf. »Das gefällt mir nicht, Pitt«, sagte er ruhig. »Ich kann Sie nicht schützen – und auch Tellman nicht. Der steht jetzt wie eine Zielscheibe da.«
»Ich weiß«, räumte Pitt ein. Das war ihm durchaus bewusst, und es schmerzte ihn.
Narraways Gesicht verdüsterte sich. »Seien Sie jedenfalls sehr auf der Hut, denn Sie wissen nicht, wer hinter der Erpressung steckt«, mahnte er. »Vergessen Sie nie, dass Sie an Vorschriften gebunden sind, die anderen aber nicht.«
Auch wenn Pitt wusste, dass sich Narraway um ihn sorgte, ärgerte ihn die Warnung. »Sie klingen ganz wie Voisey.«
Narraway fuhr so heftig hoch, dass die Füße seines Sessels über den Boden schabten. »Um Gottes willen! Sie haben ihm doch nicht gesagt, dass …«
»Natürlich nicht!«, gab Pitt mit Schärfe zurück. »Ausschließlich, was es mit Piers Denoon auf sich hat, sonst nichts. Er
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