Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Brauen. »Mit Tellmans Vernichtung würde er Sie weit besser und tiefer treffen als mit allem, was er sonst tun könnte.« In seinen Augen blitzte Befriedigung auf.
»Der Mann würde Ihnen fehlen, und das Bewusstsein der Schuld, ihn einer solchen Gefahr ausgesetzt zu haben, würde Ihr Innerstes auf immer zerstören.« Er sah Pitt aufmerksam an. Wollte er ihn vielleicht daran erinnern, dass er selbst ebenfalls dazu imstande war, wenn er das für richtig hielt?
Pitt sah beiseite und ließ den Blick auf Wellingtons Grabmal ruhen. »Er war ein bedeutender Feldherr«, bemerkte er beinahe beiläufig. »Ich denke, alle Sieger haben etwas miteinander gemeinsam. Dazu gehört unter anderem, dass sie immer das Hauptziel im Auge behalten und sich nicht dazu verleiten lassen, persönlicher Eitelkeit, kleinlichen Rachegelüsten oder einem Bedürfnis nach Rechtfertigung nachzugeben.« Er ließ den Blick über den auf der Marmorfläche eingravierten Namen gleiten. »Nie und nimmer hätte er das Schlachtfeld von Waterloo verlassen, um sich mit wem auch immer zu duellieren. Zu keiner Zeit hat er das eigentliche Ziel aus den Augen verloren.« Er sah Voisey wieder an. »Die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist eine seltene Eigenschaft. Ich glaube, Wetron besitzt sie. Meinen Sie nicht auch?«
Unverhohlene Wut trat auf Voiseys Gesicht. Dass Wetron ihn besiegt und die Leitung des Inneren Kreises an sich gerissen hatte, war das Letzte, woran er erinnert werden wollte.
»Noch ist die Sache nicht ausgestanden«, stieß er scharf hervor. »Heißt es nicht, dass der am besten lacht, der zuletzt lacht? Seien Sie nicht anmaßend, Pitt.« In diesen Worten lag Bosheit. Mit Sicherheit wollte er ihm ins Gedächtnis rufen, wie brüchig das Bündnis zwischen ihnen war. »Wenn Sie sich einbilden sollten, Sie könnten ihn immer wieder besiegen, weil Ihnen das einmal gelungen ist, sind Sie ein größerer Narr, als ich angenommen hatte, und nützen mir als Verbündeter nicht das Geringste. In dem Fall taugen sie höchstens als Kanonenfutter!« Die letzten Worte stieß er mit unendlicher Verachtung heraus.
»Ein Soldat, der sich nicht den Kanonen stellen kann, nützt niemandem viel«, gab Pitt zu bedenken. »Bisher hat von unserer Seite aus Tellman den besten Angriff geführt. Es liegt ebenso in
Ihrem wie in meinem Interesse, alles zu tun, was wir können, damit er am Leben bleibt. Sollte es dazu nötig sein, Wetron den Eindruck zu vermitteln, er könne Informationen in beide Richtungen weiterleiten, bin ich bereit, daran mitzuwirken. Um auf den eigentlichen Anlass unserer Begegnung zurückzukommen: Es sieht auf jeden Fall so aus, als bestehe eine Beziehung zwischen den Anarchisten und Piers Denoon, denn er versorgt sie mit Geld. Kaum fühlte er sich bedroht, hat er Simbister aufgesucht und wurde ins Haus gelassen. Mitten in der Nacht.«
»Damit erhebt sich die Frage«, sagte Voisey gedehnt, »inwieweit auch Edward Denoon hinter den Anarchisten steht. Können wir diese Beziehung beweisen? Ebenso muss man überlegen, wie viel Sheridan Landsborough über die Umtriebe seines Sohnes bekannt war.«
»Das kann alles gewesen sein oder nichts«, sagte Pitt. »Es wäre zwar ganz interessant, das zu wissen, würde uns aber beim Kampf gegen den Gesetzentwurf nicht weiterhelfen. Wir würden daraus höchstens erfahren, auf welcher Seite beide Männer stehen. Bisher wissen wir aus Denoons Zeitung, dass er sich für das Gesetz ausspricht. Landsborough hat sich in der Frage noch gar nicht geäußert.«
»Was wird er sagen?«, fragte Voisey.
»Ich habe keine Vorstellung. Ich könnte mir denken, dass er es selbst nicht weiß. Immerhin hat er seinen einzigen Sohn verloren. Aber es könnte sich zeigen, dass ihm der neueste Zusatz zu dem bewussten Antrag einen Schritt zu weit geht, denn das könnte der Erpressung Tür und Tor öffnen.«
»Sie meinen das Recht, Dienstboten ohne Wissen ihrer Herrschaft zu befragen?«, fragte Voisey verbittert, das Gesicht vor Ärger völlig verkniffen. »Und wie das der Erpressung Tür und Tor öffnen würde! Auf diese Weise könnte Wetron die führenden Köpfe des Landes in die Hand bekommen. Lebt auch nur ein Mann in England, dessen Kammerdiener nicht etwas über ihn weiß, was besser nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte? Und wäre es nur, dass er ein Korsett trägt, um seinen Bauch zu bändigen,
oder dass seine Frau lieber mit dem Lakaien als mit ihm ins Bett gehen würde – auch wenn sie unter Umständen
Weitere Kostenlose Bücher