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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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tritt mir so aufgeblasen gegenüber, als wüsste ich nichts von Verbrechen. Aus der Art, wie er mich behandelt, könnte man schließen, ich sei ein Landpfarrer!«
    Langsam breitete sich ein Lächeln auf Narraways Gesicht aus, und er ließ sich wieder in seinen Sessel sinken. »Ich kenne eine ganze Reihe von Landpfarrern. Ganz besonders einer von ihnen war mit der widerlichen Seite menschlicher Grausamkeit und Habgier vertrauter als irgendjemand, dem ich je im Leben begegnet bin. Er kam damit in Berührung, als es noch ganz kleine Sünden waren, erkannte darin aber den Trieb, andere mithilfe von Herabsetzungen und zahllosen kleinen Demütigungen, die jeglichen Glauben zerstören, zu beherrschen.« Mit einem Mal hielt er inne, als rufe er sich selbst in die Gegenwart zurück. »Machen Sie weiter, Pitt. Stellen Sie genau fest, was bei den Anarchisten geschieht.«
    »Ja, Sir. Haben Sie etwas gehört, was ich wissen müsste?«
    Ein Anflug von Belustigung trat in Narraways Augen. »Heißt das, ich soll Ihnen Bericht erstatten, Pitt?«
    Pitt überlegte, wie gut die Aussichten waren, mit Offenheit davonzukommen, und entschied sich dafür, es zu riskieren. »Ja, Sir, das könnte nützen.«
    Narraways Brauen hoben sich. »Bisher ist die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass Vertreter einer Festlandsmacht Zutritt zum Inneren Kreis gefunden haben könnten«, sagte er. »Allerdings gibt es gewisse Männer in der Hochfinanz, deren Interessen sich möglicherweise nicht mit denen unseres Landes decken. Mehr brauchen Sie im Augenblick nicht darüber zu wissen. Kümmern Sie sich um die Korruption bei der Polizei – sie gefährdet uns alle.«
    »Ja, Sir.« Pitt verabschiedete sich und ging im Bewusstsein, dass er vergleichsweise leichten Kaufs davongekommen war.

    Pitt suchte Welling in seiner Zelle im Gefängnis von Newgate auf. Obwohl es draußen recht angenehm war, schien der Mann zu frieren. Die steinernen Wände strömten eine Feuchtigkeit aus, die bis ins innerste Mark drang. Sein Gesicht war noch bleicher, sein Haar noch ungepflegter als beim vorigen Mal. Mit hängenden Schultern saß er auf seiner Pritsche.
    »Was wollen Sie?«, fragte er, als Pitt eintrat und der Wärter die Stahltür klirrend hinter ihm schloss. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Sie von mir nichts erfahren werden – weder Namen noch Orte. Glauben Sie mir etwa nicht?«
    »Ich glaube Ihnen, dass Sie meinen, was Sie sagen«, gab Pitt zur Antwort. Obwohl nur ein einziger Mann in der Zelle lebte, hing in dem Raum der Geruch nach vielen Männern, so, als werde sie nie gesäubert und als gelange nie frische Luft hinein.
    »Warum verschwenden Sie dann Ihre Zeit hier? Sie wissen nicht weiter. Sie tappen nach wie vor völlig im Dunkeln, haben keine Ahnung, wer Magnus erschossen hat, was?«, sagte Welling mit spöttisch vorgeschobener Oberlippe. »Ich sage Ihnen: Es war die Polizei. Sie sind nur nicht bereit, das zuzugeben.«
    »Sofern es tatsächlich jemand von der Polizei war, würde ich gern wissen, wer«, gab Pitt zurück.
    »Welche Rolle spielt das denn? Sie unternehmen ja doch nichts dagegen.«
    »Wollen Sie nicht selbst wissen, wer es war?«
    Welling setzte sich auf der Pritsche ein wenig weiter zurück und hielt die Arme fest vor der Brust verschränkt. »Wozu? Mir ist völlig einerlei, wer es getan hat – die sind einer wie der andere. Magnus ist und bleibt tot, und Gerechtigkeit wird es so oder so nicht geben.«
    Pitt spürte die Wut und Angst des Mannes so deutlich, als sei die Temperatur im Raum schlagartig gesunken. Das Bewusstsein, nicht weiterzukommen, steigerte seinen Ärger, zugleich aber hatte er auch Mitleid. Etwas sehr Ähnliches hatte er als Kind erlebt, als man seinen Vater fälschlich der Wilderei bezichtigt hatte. Dieser hatte seine Unschuld nicht beweisen können, und weil man Wilderei zu jener Zeit sehr streng bestrafte, war er deportiert worden. Pitt hatte ihn nie wiedergesehen.
    Er konzentrierte sich auf die Gegenwart. »Wie viele Polizeibeamte hat er gekannt?«, fragte er. Es machte ihm Mühe, seine Stimme zu beherrschen.
    »Was?« Welling war verblüfft.
    Pitt wiederholte seine Frage.
    »Gar keine!«, gab Welling verärgert zurück. »Das sind einer wie der andere Lügner, korrupte Unterdrücker, die die Armen bestehlen. Warum stellen Sie mir eigentlich so eine dämliche Frage?«
    »Wenn er tatsächlich keinen Polizeibeamten kannte – warum sollte ihn dann einer getötet haben?«, fragte Pitt.
    »Weil wir wissen, wie die

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