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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sind! Sind Sie eigentlich blöd?«, schnaubte Welling.
    »Ja, sieht ganz so aus, als ob Sie die Leute gut kennen«, stimmte Pitt zu. »Warum also hätte so jemand Magnus umbringen, Sie und Carmody aber am Leben lassen sollen? Oder war ausschließlich Magnus für die Polizei gefährlich?«
    Es dauerte einige Augenblicke, bis Welling begriff, was Pitt ihm mit der ersten Frage unterstellte. Dann überzog tiefe Röte sein Gesicht, und er fuhr ihn aufgebracht an: »Wie können Sie es wagen? Sie dreckiger …« Mit einem Mal sprach er nicht weiter. Es war, als hätte jemand die Tür in einen hell erleuchteten Raum geöffnet. Er hatte verstanden, was Pitt mit seiner zweiten Frage gemeint hatte.
    »Genau«, sagte Pitt. »Magnus wurde aus einem persönlichen Grund umgebracht, nicht aber, weil er Anarchist war. Das stimmt doch?«
    Welling schluckte, sodass sein Adamsapfel in heftige Bewegung geriet. »Ja …«, sagte er rau. »Aber wer würde so was tun?«
    »Das weiß ich nicht. Fangen wir mit dem Warum an.«
    Welling sah ihn an, als durchlebe er ein ganz neues Entsetzen, aufgrund eines Gedankens, auf den er bislang noch nicht verfallen war.
    Mit Überraschung, in die sich ein wenig Mitleid mischte, dachte Pitt, wie weltfremd diese jungen Männer sein mussten. Sie hassten voll Leidenschaft einen unpersönlichen Feind ohne Namen und Gesicht. Doch da Welling nun genötigt war, sich dem Gedanken zu stellen, jemand könne Menschen um ihrer selbst willen so sehr hassen, dass er sie tötete, war er entsetzt.
    »Hat ein anderer nach Magnus’ Position als Anführer der Gruppe gestrebt?«, fragte Pitt.
    »Natürlich nicht!« Welling war zutiefst empört. »So was glauben Leute wie Sie, nicht wir. Wir wollen kein System, bei dem einer dem anderen gehorchen muss, ganz egal, was das eigene Gewissen einem vorschreibt. Wir sind nicht scharf auf die Macht. Schon der Gedanke daran, so was zu wollen, ist korrupt.«
    »Jemand hat sich mit einer Schusswaffe hinter einer Tür versteckt und Magnus in den Hinterkopf geschossen«, erinnerte ihn Pitt. »Ich weiß nicht, ob ich das unbedingt als korrupt bezeichnen würde. Auf jeden Fall aber verstößt es gegen meine Vorstellungen von Gesetz. Wie sehen Ihre Vorstellungen aus? Oder haben Sie gar keine?«
    »Natürlich ist es nicht in Ordnung! Es ist widerlich«, stieß Welling hervor. »Es ist nicht nur brutal, sondern auch heimtückisch.«
    »Ganz offenkundig wollte der Betreffende nicht gesehen werden«, fügte Pitt hinzu. »Sonst hätten Sie ihn womöglich erkannt.«
    Welling schluckte. »Vielleicht.«
    »Wir sind also wieder bei der Annahme, dass der Täter jemand gewesen sein muss, der Magnus kannte«, fuhr Pitt fort. »Außerdem muss es jemand gewesen sein, dem bekannt war, wohin Sie nach dem Sprengstoffanschlag in der Myrdle Street fliehen würden. Wer hat davon gewusst? Die Polizei jedenfalls nicht.«
    Welling sah ihn verständnislos an.
    »Andere Anarchistengruppen?«, fragte Pitt.
    »Warum sollten die Magnus umbringen wollen?«, fragte Welling in kläglichem Ton. »Wir haben doch alle dasselbe Ziel.«
    »Wirklich? Gibt es nur eine einzige Art von Chaos? Vielleicht sind die anderen der Meinung, dass es mehrere gibt.«
    »Wir wollen kein Chaos! Sie haben ja keine Ahnung … Sie Dummkopf!« Wellings Verärgerung nahm sichtlich zu. Jetzt hatte er sich wieder aufrecht hingesetzt. »In der einen Minute reden Sie wie jemand, der denken kann und wenigstens annähernd versteht, worum es geht, und in der nächsten gehen Sie her und sagen so abwegige Dinge. Die Anarchie will weder Chaos noch Gewalttätigkeit.« Er fuhr mit der flachen Hand durch die Luft. Mit brennenden Augen beugte er sich zu Pitt vor. »Ziel der Anarchie ist die Abschaffung der Tyrannei, damit alle Menschen frei sein und ihr besseres Ich ausleben können. Ein weiser Mensch sollte die Möglichkeit haben, zu wachsen und das Beste in sich zum Vorschein zu bringen.« Seine Stimme klang begeistert. »Hin zur Freiheit, fort von einengenden Vorschriften, die kleinliche Menschen den anderen in Gestalt von Gesetzen, Gerichten, Regierungen und Heeren aufzwingen, um deren Geist zu knechten. Es gibt nur ein wahres Gesetz: das der Vernunft und das, das uns sagt, dass alle Menschen auf der Welt Brüder sind. Alles andere bringt Angst vor Gefangenschaft und die Herrschaft
der einen über die anderen mit sich, die sich durch nichts rechtfertigen lässt. Wir wollen alle gleich und frei sein.«
    Pitt überlegte einen Augenblick. »Wenn Sie das

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