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Flammen um Mitternacht

Flammen um Mitternacht

Titel: Flammen um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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über Mund und Nase.
    Nicki
stemmte sich in die Leine und machte Männchen auf den Hinterbeinen.
    Erschrocken
wich der Fahrer zum jenseitigen Rand aus, obwohl Nicki — weil Tom ihn bändigte
— ihn nicht erreicht hätte.
    Jetzt sah
Locke: Das Taschentuch war voller Blut. Blut lief aus der Nase des Mannes.
Seine Oberlippe war aufgeplatzt.
    „Sie sind ja
verletzt“, rief sie spontan. „Sind Sie gestürzt?“
    Der Fahrer
hielt. Es war ein junger Mann, 22 vielleicht — nicht älter. Sein blauschwarzes
Haar lockte sich an den Schläfen. In dunklen Augen sammelte sich alle Schwermut
der Welt. Er hatte ein schmales Gesicht, sah gut aus — obwohl die Lippe
anschwoll, was die Mundpartie entstellte. Bekleidet war er grünlich und grau —
bescheiden und unmodisch: ein Ausländer, ohne Zweifel, ein Gastarbeiter.
    Heidenreichs
Handlanger! dachte Locke — und wußte sofort, daß sie mit ihrer Vermutung, er
sei gestürzt, auf dem Holzweg war.
    Er
versuchte, das Blut zu stillen, und schüttelte unmerklich den Kopf.

    „Nein. Bin
nicht gestürzt. Es war kein Unfall.“
    Jetzt, da er
Stillstand, bremste sich Nickis Jagdtrieb von selbst. Er beschnupperte den
jungen Mann und wedelte freundlich, wofür es zwei Erklärungen gab: Entweder
roch der
Fremdling sympathisch, oder er hatte ein Wurstbrot in der Hosentasche.
    „Gehören Sie
zu diesem Heidenreich?“ fragte Tom.
    Der
Gastarbeiter nickte, beobachtete Nicki, hielt ihm schüchtern die Hand hin und
lächelte, als ihm der Vierbeiner — schlapp, schlapp! — über die Finger leckte.
    Wenn’s der
ist, den Heidenreich erwartet hat, dachte Locke, dann wurde er im Osmanischen
Reich geboren. Ein Türke, also. Klar! So sieht er auch aus.
    „Ich bin Tom
Conradi“, sagte Tom. „Meine Freundin Nina Rehm“, stellte er Locke vor. „Mit
Ihrem Chef sind wir vorhin aneinander geraten.“ Das war zwar etwas vereinfacht
erzählt, aber dem jungen Mann Einzelheiten aufzutischen, darauf kam’s nicht an.
„Nach unserem Eindruck ist Heidenreich ein ganz mieser Typ. Hat er Sie
geschlagen?“
    „Ja, er hat
mich geschlagen“, kam die Antwort. Dabei senkte er den Blick, als schäme er
sich. „Er hat meine Ehre besudelt. Er weiß das. Aber er weiß auch, daß ich in
seiner Hand bin, abhängig von ihm, darauf angewiesen, daß er mich beschäftigt.
Er nutzt das aus. Er behandelt mich wie einen Hund — nein, schlimmer. Denn so
würdet ihr euren Hund nie behandeln. Er hat mich geschlagen, weil ich ihm die
Baupläne erst jetzt — und nicht schon vor einer Stunde gebracht habe. Aber ich
hatte unterwegs eine Panne. Mein Motorrad war kaputt. Bis ich eine Werkstatt
fand, die den Schaden repariert, ist eine Stunde vergangen.“
    Mein Gott!
dachte Locke. Wie beschämend muß das sein. Prügel! Prügel vom Chef. Das sind ja
Zustände wie im finsteren Mittelalter.
    Der Türke
zwang sich zu einem Lächeln.
    „Ich danke
euch für euer Mitgefühl“, sagte er. „Ich habe nicht gewußt, daß es so etwas
überhaupt noch gibt. Ich bin Türke. Mein Name ist Mustafa Göksun. Seit einigen
Wochen bin ich — wie sagt man? — Laufbursche bei Herrn Otto Heidenreich. Vorher
war ich...“
    Er stockte,
als hätte er beinahe zuviel gesagt.
    „…einer der
illegalen ausländischen Arbeiter“, ergänzte Tom. „Bei uns können Sie das
zugeben. Wir verpetzen Sie nicht.“
    „Nicht Sie!
Bitte, sagt du und Mustafa zu mir.“
    „Gern. Aber
jetzt, Mustafa, bist du ordnungsgemäß gemeldet?“
    „Heidenreich
konnte mich gebrauchen“, nickte Mustafa. „Er hat mich rausgeholt aus diesem
scheußlichen Haus, mir Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis besorgt.
Dafür muß ich ihm dankbar sein. Aber muß ich mich dafür schlagen lassen? Bin
ich sein Sklave, auf dem er, wenn er wütend ist, herumtrampeln kann?“
    Tom
verneinte energisch.
    Locke sagte:
„Wenn du in Schwierigkeiten bist, Mustafa, helfen wir dir. Hast du was zum
Schreiben da? Gut! Notier’ doch bitte unsere Telefonnummer.“ Sie nannte ihre
und die der Conradis. „Du rufst an, wenn du uns brauchst. Abgemacht?“
    Mustafa
lächelte dankbar. „Ihr seid sehr nett. Das macht mir Mut. Ich möchte gern in
Deutschland bleiben. In meiner Heimat habe ich nur Elend erlebt. Ich weiß, was
Hunger ist.“
    „Du sprichst
sehr gut deutsch.“
    „Ich lerne
jeden Tag. Ich habe mir Schulbücher gekauft, und — sagt man pauken? Ja? — ich
pauke deutsche Grammatik.“
    „Mach weiter
so.“ Prüfend sah Locke ihn an. „Bei wem warst du als Illegaler, Mustafa?

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