Flammen um Mitternacht
Opfern muß geholfen werden. Das ist menschliche Pflicht.
Da gibt es kein Weggucken, kein Schulterzucken, kein Nicht-gewußt-haben! Da
gibt’s nur eins: Hilfe leisten, wo wir können. Und natürlich können wir. Denn
das ist, wieder mal, ein Fall für uns!
*
Nach dem
Mittagessen — bewahre! — nach einem Festmahl, verzogen sich Gunter, Sohn Mike
und Onkel Paul in eine Ecke und spielten Skat. Erfahrungsgemäß würde das bis
gegen Abend dauern; und damit die Begeisterung nicht erschlaffte, standen
einige Flaschen Burgunder bereit.
Elke, voller
Zartgefühl, wollte die traute Zweisamkeit des Pärchens nicht stören und
gesellte sich also zu den Frauen in die Küche, wo jede helfende Hand willkommen
war.
Solche Hände
besaßen weder Locke noch Tom, jedenfalls nicht, wenn es um Hausarbeit ging. Sie
konnten sich meisterlich drücken, was sie auch taten, behaupteten sie doch,
Nicki brauche Bewegung. Aber glücklich wäre der brave Vierbeiner nur, wenn
beide ihn begleiteten.
Als sie ins
Freie traten, schien die Sonne.
Nicki blieb
zunächst an der Leine.
Sie
bummelten die Straße entlang und wollten den Park erkunden, einschließlich der
Landsitze.
Als sie
durch die Kurve gingen, sahen sie Heidenreichs Wagen.
„Ist er
immer noch da, der Mistkerl!“ empörte sich Locke.
Heidenreich
saß auf der Terrasse. Er hatte einen Liegestuhl aufgestellt und sich vom Gürtel
abwärts in eine Decke gehüllt. Er hielt das Gesicht in die Sonne und die Augen
geschlossen.
Als er
Schritte und Nickis Hecheln vernahm, öffnete er das linke. Das war die einzige
Regung — mehr war nach dem Zank ohnehin nicht zu erwarten.
Locke
bedachte ihn mit einem Blick voller Abscheu. Tom beleckte die Zähne, was er
fast so gut konnte wie sein Hund.
Sie
entfernten sich.
„Sein
Handlanger scheint noch nicht da zu sein“, sagte Locke. „Der wird was zu hören
kriegen, der arme Kerl. Vielleicht auch so ein Illegaler. Am Montag sind wir
jedenfalls dabei.“
„Du meinst,
wenn Gunter sich in die Höhle des Löwen wagt?“
„Klar.“
„Wie stellst
du dir das vor?“
„Ich lege
Papi nahe, uns als Volontäre ( Auszubildende ) mitzunehmen. Das lehnt er
natürlich ab. Also machen wir ihm klar, daß wir uns durch nichts und niemanden
zurückhalten lassen, um das Schicksal dieser bedauernswerten Arbeitssklaven zu
mildern. Und daß es nur in seinem, Papis, Interesse liegt, wenn er uns dabei
beaufsichtigen kann. Das wird er einsehen — und unsere Begleitung
zähneknirschend akzeptieren. Zum letzten Mittel, der Drohung, daß wir das
Pressehaus anzünden, müssen wir sicher nicht greifen.“
„Das brennt
ohnehin nicht. Das ist so feuerfest wie die Holzscheite neben Kreuders Kamin.“
„Wieso?“
„Die sind so
frisch, daß sie tropfen.“
„Aha. Dann
waren das wohl die einzigen trockenen, die wir gestern abend verfeuert haben.“
Sie waren
jetzt außer Sichtweite aller Lebewesen, die es zur Zeit im Kleinbeerener
Wohnpark gab — ausgenommen Nicki, der zwischen fremden Hecken herumtollte. Aber
Nicki störte nicht. Der Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Locke und Tom
löste bei ihm freudiges Schweifwedeln aus. Sicherlich verstand er, was vorging,
und wie sehr die beiden sich mochten. Mit schiefgelegtem Kopf beobachtete er,
wie Tom seine Freundin in die Arme schloß und zärtlich küßte. Freilich — als
ihm das zu lange dauerte, stellte er sich an ihnen auf. Eine Vorderpfote
stützte er auf Lockes Schulter, die andere auf Toms. Und dann küßte er mit.
Jedenfalls leckte er Locke und sofort auch seinem Herrchen über die Wange.
Lachend
stoben die beiden auseinander.
„Du bist ein
unmöglicher Hund!“ schimpfte Tom.
„Er betätigt
sich doch nur als Anstandswauwau“, lachte Locke. „Dafür mußt du ihn loben.“
Arm in Arm
schlenderten sie weiter, machten eine Runde durch den Park, beachteten auch hin
und wieder die Häuser, hatten aber eigentlich nur Augen füreinander.
Sie gingen
denselben Weg zurück. Plötzlich spitzte Nicki die Ohren. Im selben Moment
hörten auch die beiden das Motorrad — eine leichte Maschine offenbar, denn sie
töffte nicht viel lauter als Lockes Mofa. Sie kam ihnen entgegen und
schleunigst nahm Tom seinen Hund an die Leine. Hatte doch Nicki die fatale
Gewohnheit, Zweiradfahrer jeder Hubraumklasse — mit und auch ohne Hilfsmotor —
zu jagen.
Jetzt sahen
sie den Fahrer.
Er rollte
kaum schneller als Schrittempo, eierte durch die Kurve, hatte den Kopf gesenkt
und wischte sich mit dem Taschentuch
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