Flammenbraut
herangekommen. Die beiden kannten sich.«
»Als ich ihn traf, schien er leicht schwerhörig zu sein. Vielleicht war es ja kein Problem, sich an ihn heranzuschleichen. Der Mörder zerrt ihn mit auf den Zug, entkleidet ihn während der Fahrt und springt dann mit seinem Opfer ab, um es zu enthaupten.«
»Warum ihn im Zug entkleiden? Woher weißt du das?«
»Weil auf dem Hemd keine Blutspritzer zu sehen sind, die darauf hindeuten, dass Van Horn es zum Zeitpunkt der Enthauptung noch anhatte. Außerdem kam es mir so vor, als hätte am Tatort mehr Blut sein müssen, vielleicht hat man Van Horn also die Kehle bereits woanders durchgeschnitten. Aber wie gesagt, auf der Vorderseite seines Hemdes sind keine Spritzer oder größere Blutflecken zu sehen. Nein, er hat ihn entkleidet, um Zeit zu sparen, ihn dann am Fundort getötet, weil es der Torso-Mörder genauso gemacht hat. Er hat einen lebenden Menschen in das Tal gebracht, um ihn direkt vor uns abzuschlachten.«
»Nimm es nicht persönlich, Tess.«
Sie sah ihn an, als hätte er plötzlich Suaheli gesprochen. »Wie soll ich das denn bitte nicht persönlich nehmen? Tust du das nicht?«
Er gestand nicht ein, was er ihrer Vermutung nach glaubte: Für mich ist es anders, ich bin ein Cop . Stattdessen fragte er: »Hast du letzte Nacht wenigstens etwas Schlaf bekommen?«
»Du etwa?«, schoss sie zurück. »Was ist mit seinem Haus?«
»Alles in perfekter Ordnung. Der Mann war ein Ordnungsfanatiker oberster Güte, und du hattest recht, außer der Preservation Society hatte er wohl nichts im Leben. In seinem Kalender waren die offiziellen Termine der Society für die nächsten sechs Monate notiert und sonst nichts. Keine Verabredungen zum Essen, keine Geschäftstermine. Nicht einmal ein Arzttermin.«
»Es sei denn, er hatte zwei Kalender. Einen für die Society-Angelegenheiten, einen für persönliche Dinge.«
»Guter Gedanke, Cousinchen. Aber wir haben keinen zweiten gefunden und auch sonst nichts in der Richtung, als wir alles durchgesehen haben. Außerdem hat die Vermieterin bestätigt, dass er sehr zurückgezogen lebte. Der Eingang zum Haus bleibt immer verschlossen, nur Mieter können es betreten. Natürlich kann jemand einen Lieferanten hereingelassen haben, oder der Mörder ist hinter einem Mieter durch die Tür geschlüpft. Sanchez lässt gerade ein paar Streifenbeamte die Nachbarschaft abklappern. Und der Tatort ist immer noch gesichert – die S-Bahnen mussten wir allerdings wieder fahren lassen –, du kannst ihn dir also bei Tageslicht ansehen. Wobei die zwei diensthabenden Beamten nach Sonnenaufgang alles noch einmal absuchen wollten.«
»Dann brauche ich eigentlich nicht hinzufahren, oder?«
Er hob eine Augenbraue. »Warum nicht?«
»Ich sehe keinen Grund«, überlegte sie laut und versuchte damit wohl eher sich selbst als ihn davon zu überzeugen oder vielleicht auch den Geist ihres toten Großvaters. Zwischen Familie und Arbeit fiel ihr die Entscheidung leicht. Aber Familie gegen Familie? »Ich werde nichts finden, was die Cops nicht auch bemerken. Ich habe keinen Röntgenblick.«
»Nein. Aber du kanntest das Opfer.«
Da hatte er recht. Sie würde vielleicht die Bedeutung eines Gegenstandes erkennen, den ein Polizist, der William Van Horn nie kennengelernt hatte, übersehen könnte. Auch wenn sie so gut wie nichts über den Mann wusste, wusste sie mehr als jeder andere am Tatort. »Okay. Ich fahre auf dem Weg nach Hause vorbei.«
»Außerdem, was hättest du denn sonst zu tun?«
Während sie das unauffällige türkisfarbene Hemd abklebte, erzählte sie ihm, dass Rachael zu Ehren ihres Geburtstags übers Wochenende heimgekommen war. Frank freute sich mit ihr, versuchte ihr aber auch nicht den Abstecher zum Tatort wieder auszureden. Das Department verschwendete nicht gern zwei Cops an die Bewachung von einem Stück Land. »Und, wie fühlt es sich jetzt an, die Lebensmitte überschritten zu haben?«
»Wunderbar. Einfach toll. Zwei neue Falten heute Morgen.« Theresa versiegelte in Rekordzeit die Papiertüten mit den Kleidungsstücken mit rotem Klebeband, schrieb ihre Initialen darauf und verschloss alles im Aufbewahrungsraum. Dann sammelte sie die Azetatpapierbögen und den Bericht ein und stupste ihren Cousin an, der auf einem der Sitze in dem alten Amphitheater vor sich hin döste. »Warum fährst du nicht heim und schläfst ein bisschen?«, empfahl sie ihm. »Ich rufe dich an, wenn ich etwas von Bedeutung herausfinde.«
»Ich hatte hier auf einen
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