Flammenbucht
Thronrats zu schicken; auch Kaufleute und Barone blieben von den Bittschriften nicht verschont. Seit jeher waren die Südsegler auf Geldgeschenke der sitharischen Oberschicht angewiesen, um ihre kostspielige Flotte - ein gutes Dutzend Karacken - zu unterhalten. Mit diesen Schiffen durchkreuzten sie das südliche Silbermeer; denn sie glaubten an die Existenz eines zweiten Kontinentes südlich von Gharax. Angeblich besaßen die Südsegler eine uralte Seekarte aus Yuthir, der legendären ›Stadt des Wissens‹, die vor Jahrtausenden in der Wüste Arphats gelegen hatte und dann auf mysteriöse Weise untergegangen war. Auf dieser Karte, so besagten die Gerüchte, war der geheimnisvolle Kontinent verzeichnet. Die Suche der Südsegler dauerte nun schon viele Jahrhunderte an; tatsächlich hatten sie im Süden einige kleinere Inselketten entdeckt, weit entfernt von der thokischen Küste. Den ersehnten Kontinent hatten sie jedoch bisher nicht gefunden, und niemand in Sithar glaubte ernsthaft an einen Erfolg ihrer Suche. Jundala hatte sogleich nach Erhalt der Schriftrolle Erkundigungen über die Südsegler eingeholt. Seit einigen Wochen lagen sechs ihrer Karacken im Hafen von Vara vor Anker. Vermutlich trafen sie Vorbereitungen für eine weitere Expedition; dies mochte auch erklären, warum sie die Fürsten des Silbernen Kreises um Geld baten. Ob ihre merkwürdigen Reime den gewünschten Erfolg bringen würden, wagte Jundala allerdings zu bezweifeln. Nachdenklich nagte sie an ihrer Unterlippe, während sie auf die Schriftrolle starrte. Sie rief sich in Erinnerung, daß die Südsegler nicht nur Seefahrer, sondern zugleich erfahrene Krieger waren, die das Kaiserreich mehrfach gegen die Gyraner eingesetzt hatte.
Sechs Karacken, und jedes dieser Schiffe zählt eine etwa dreißigköpfige Besatzung… eine hübsche kleine Streitmacht, die sich dort im Hafen von Vara bereithält.
Sie wußte, wie sehr sich ihr Gemahl für das Gesuch interessieren würde; und da Baniter erst in den Abendstunden in den Kaiserpalast zurückkehren wollte, beschloß sie, die Südsegler selbst aufzusuchen, bevor ein anderer Fürst ihr zuvorkam. Sogleich ließ sie sich von der Dienerschaft ihren Mantel bringen und gab Anweisungen, ein Pferd für den Ausritt in die Stadt bereitzustellen.
Kurz darauf verließ Jundala die Gemächer, die der Thronrat der Familie Geneder zugewiesen hatte; drei große Räume im Ostflügel des Kaiserpalastes. Sie waren schlicht eingerichtet, geschmückt nur mit einigen Wandteppichen, doch dafür sehr gepflegt. Es war Jundala allerdings nicht entgangen, daß die Geneder als einzige Familie im Ostteil des Palastes untergebracht waren; die übrigen Fürsten hatten Räume im weitaus schöneren Südteil der Schloßanlage bezogen - eine weitere Spitze des ›Gespanns‹. Das Spiel um die Macht folgte denselben Gesetzen wie in Thax; es war nur riskanter geworden, da in Vara andere Bedingungen herrschten, die es erst zu verstehen galt. Und wie bisher würde Jundala Geneder ihren Beitrag leisten, als treue Gefährtin ihres Mannes, die ihm auf seinen gefährlichen Pfaden folgte, ganz gleich, welche Folgen dies für sie und ihre Kinder haben mochte.
Es waren düstere Gedanken, die Jundala quälten, als sie durch die Säulengänge des Palastes schritt. Jeder Schritt kostete sie große Anstrengung, und mehrmals war sie kurz davor, umzukehren, sich ihrer Rolle zu verweigern, die das Schicksal ihr aufgezwungen hatte: die Intrigen ihres Mannes mitzutragen, um das Fürstentum Varona für die Geneder zurückzuerobern. Doch sie blieb nicht stehen, schritt weiter, ihre Füße wie von einer höheren Macht gelenkt.
Bald erreichte sie den Innenhof, der zwischen dem Ostteil des Palastes und dem kaiserlichen Residenzbau lag; ein Lustgarten mit Zierbäumen, sorgfältig gestutzten Hecken und Blumenbeeten. Langsam durchschritt Jundala den Garten, das Gesicht der Sonne zugewandt, die über dem Palast erstrahlte.
Plötzlich hörte sie Stimmen. Sie drangen hinter den Hecken hervor. Verwundert blieb Jundala stehen und lauschte.
»Wir können nicht mehr warten. Jeder weitere Tag, den wir untätig bleiben, kann unser Verderben bedeuten.« Es war eine Frauenstimme, verzerrt von einem fremden Dialekt. »Ich spüre, wie die Sphäre sich immer weiter verzerrt. Ihr müßt uns endlich Zutritt zum Verlies der Schriften verschaffen, Herrin.«
Eine zweite Frau antwortete; ihre Stimme war heller, fröhlicher. »Nur Geduld. Der Thronrat hat mir zugesichert, daß ich den
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